Rezension (5/5*) zu Goya. Der Künstler und seine Zeit von Robert Hughes

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Kongeniale Schilderung eines außerordentlichen Malers

Meine erste Begegnung mit Goya (1746 - 1828) liegt über 50 Jahre zurück: Ich fand in einem Zeichen-Lehrbuch eine Wiedergabe eines seiner Blätter in Aquatinta-Drucktechnik. Es war eine surrealistische Darstellung einer Frau und eines Pferdes, und was mich daran beeindruckte, war das Schwarz im Hintergrund - mit kam es wie das schwärzeste Schwarz vor, das ich je gesehen hatte. Später hatte ich Gelegenheit, Goyas Porträts, viele seiner Zeichnungen und auch die für sein Privathaus gemalten Gruselbilder anzusehen. Der Reichtum seines Schaffens ist überwältigend, sowohl thematisch als auch technisch und im Hinblick auf die künstlerische Ausdruckskraft. Sein Einfluss auf die europäische Kunst wirkt bis heute.

Über Goyas Werk ist unendlich viel geschrieben worden, nicht nur kunsthistorische und/oder biographische Abhandlungen. Vor allem seine rätsel- und alptraumhaften Bildinhalte, aber auch die dramatischen Wendungen seines (für seine Zeit) sehr langen Lebens finden Eingang auch in die Belletristik. Sein Schaffen lädt dazu ein, Legenden um seine Person zu spinnen. Für interessierte Laien ist es umso verdienstvoller, wenn sich ein Autor daran macht, Goyas Leben und Werk in populärhistorischer Weise zu würdigen, so dass es unterhaltsam zu lesen ist, aber fundiert und frei von allen reißerischen Spekulationen. Diese Leistung erbringt der gebürtige Australier Robert Hughes in Perfektion. In einem Einleitungskapitel erläutert er seine Vorliebe für Goya, den Bezug auf seine eigene (Hughes') Lebensgeschichte. Dann geht es zeitlich und thematisch geordnet hinein in Goyas Leben. Hughes schildert ausführlich die politische und soziale Situation in Spanien und legt ausführlich dar, wie rückständig dieses Land damals war, verglichen mit anderen europäischen Ländern, wo sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts bereits aufklärerisches Gedankengut herausbildete. In Spanien sind sämtliche sozialen und industriellen Neuerungen, wie Hughes darlegt, eine Generation später angekommen. Das lag einmal an der bornierten Haltung des niederen Adels, der sich nach der Reconquista etabliert hatte, vor allem aber an der Macht der Kirche (aus seiner Abneigung gegen die Kirche macht Hughes keinen Hehl). Es gab zur damaligen Zeit keine Kunstakademie in Spanien, nicht einmal überhaupt einen bedeutenden Maler, von Velazquez einmal abgesehen. Vor diesem Hintergrund sind Goyas künstlerische Fähigkeiten, sowohl in technischer Hinsicht als auch in punkte Beobachtung und psychologische Durchdringung seiner Motive, um so erstaunlicher. Goya hatte weder eine akademische Kunstausbildung noch richtiggehende Vorbilder. Seine einzige Lehrmeisterin war das Auge. "Ich habe es gesehen" - dieses Motto, das er seiner grafischen Serie über "desastres de la guerra" voranstellte, könnte sein komplettes Werk überschreiben.

Hughes räumt mit einigen Goya-Legenden auf. So legt er ausführlich dar, wie unsinnig der verbreitete Gedanke ist, der Maler habe bewusst in seine Hofporträts satirische Absichten einfließen lassen (ein Gedanke, der bei der steifen Lächerlichkeit der Dargestellten für heutige Betrachter naheliegt). Auch dass Goya Stierkämpfer gewesen sei, verweist er ins Märchenreich. Den geheimnisvollen Gemälden in Goyas Landhaus, die der alternde und stocktaube Maler für sich selbst anbrachte, widmet Hughes nur wenige Seiten mit dem sachliche Hinweis, dass diese Bilder intime Darstellungen sind; für uns nicht mehr deutbar, da sie keiner bekannten Ikonographie folgen. Umso mehr Raum widmet Hughes den druckgraphischen Serien Goyas, vor allem den "desastres" über die Auswirkungen des Napoleonischen Kriegs in Spanien (1810 bis 1814). Goya erweist sich hier als erster und - nach Hughes' Meinung - bis heute unübertroffener Kriegsberichterstatter der bildenden Kunst. Seine Darstellungen vermeiden jede Parteinahme und bilden nur ab, wie der Mensch in Kriegszeiten unausweichlich zur Bestie verkommt. "Ich habe es gesehen" titelt er, "und das auch", "und das".

Das Buch enthält drucktechnisch einwandfreie Wiedergaben einer Vielzahl Gemälde und Grafiken, auf die der Text Bezug nimmt - allerdings ist es in dieser Hinsicht keineswegs vollständig, nicht einmal annähernd. Als "Bildband" über Goyas Werk kann man es insoweit nicht bezeichnen. Aber es ist eine umfassende und fundierte Würdigung des Malers als Kind seiner Zeit, m.W. auch immer noch auf dem derzeitigen Stand der Forschung. Viele andere Autorinnen und Autoren, die über Goya schrieben, stützen sich darauf. Und nicht zuletzt: Es ist unterhaltsam und auf keiner Seite langweilig und trocken. Leseempfehlung für alle, die sich gern mit Kunst und ihrer Wechselbeziehung zu Politik und Historie beschäftigen (oder mit Kunst und Spanien).