Rezension Rezension (5/5*) zu Glorreiche Ketzereien: Roman von Lisa McInerney.

Renie

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19. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Glorreiche Ketzereien: Roman von Lisa McInerney
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herrlich schwarzhumorig

Das beschauliche irische Cork ist der Schauplatz von Lisa McInerneys Roman "Glorreiche Ketzereien". Mit knapp 125.000 Einwohnern ist diese Stadt die zweitgrößte der Republik Irland und ganz nebenbei Sitz des römisch-katholischen Bistums Cork and Ross. Im Bistum Cork and Ross leben rund 240.000 Einwohner, wovon etwa 220.000 der katholischen Kirche angehören. Das sind über 90 %. Kirche hat also einen hohen Stellenwert bei den Einwohnern Corks.
Der Titel "Glorreiche Ketzereien" sowie das Cover deuten darauf hin: auch in Lisa McInerneys Roman hat Religion einen hohen Stellenwert - wenn auch einen scheinheiligen.
Der Roman beginnt alles andere als christlich. Denn am Anfang steht ein Mord: Maureen Phelan, Ende 60/Anfang 70, erschlägt einen Einbrecher mit einer Devotionale. Was tun mit der Leiche? Wie praktisch, wenn frau einen Sohn hat, der das organisierte Verbrechen in Cork kontrolliert. Jim nimmt sich der Sache an, wenn auch widerwillig. Denn Mütter machen nichts als Ärger. Er beauftragt seinen Handlanger Tony Cusack mit den „Aufräumarbeiten“. Tony ist alleinerziehender Vater von 3 Kindern und Alkoholiker. Seine Erziehungsmethoden sind fragwürdig, in der Regel brutal, insbesondere seinem ältesten Sohn Ryan gegenüber. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Insofern wundert es nicht, wenn Ryan bereits mit 15 Jahren seine beachtliche Karriere als Drogendealer startet. Eine seiner Kundinnen ist Georgie, eine junge Prostituierte, deren Freund spurlos verschwunden ist. Womit wir wieder bei Maureen Phelan wären.

"Sie betrachtet den Mann, der da mit dem Gesicht auf den Fliesen lag. Unter ihm breitete sich Blut aus. Es rann in die Fugen. Da würde sie Stahlwolle brauchen. Natron. Bleiche. Wahrscheinlich noch was Stärkeres. Sie war da kein Experte. Für gewöhnlich schlich sie nicht auf leisen Sohlen durchs Haus und überraschte Eindringlinge, indem sie ihnen mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf schlug. Der hier war ihr erster."

Lisa McInerney führt uns mit ihrem Roman in Corks Kriminellenszene, die trotz aller Sünden nicht ihren Hang zur Religion verloren hat. Hier wird Bigotterie in Reinkultur betrieben, welche die Autorin auch mit großer Süffisanz beschreibt. Dabei reitet sie nicht nur auf der Schwäche ihrer Protagonisten herum. Sie lässt sich auch nicht nehmen, die katholische Kirche anzuprangern. Beispielsweise knöpft sie sich die Rolle der Kirche im Umgang mit befleckten schwangeren Mädchen in den 60er Jahren vor. Diese Kritik wird durch Maureen Phelan personifiziert, die selbst einmal in der Rolle der verzweifelten Sündigen war.

"'... Man muss sich doch fragen, was mit diesem Land nicht stimmt, dass es immer neue tugendhafte alte Schachteln hervorbringt. ...'"

Der Sprachstil von Lisa McInerney ist herausragend: herrlich süffisant, mit einer großen Portion trockenem Humor. Freunde von John Irving werden hier voll auf ihre Kosten kommen. Ihre Wortspielereien haben es in sich. Man muss manche Sätze tatsächlich mehrmals lesen, um den hintergründigen Sinn zu verstehen. Aber dann kommt man aus dem Genießen nicht mehr heraus.

Die Autorin mag ihre Charaktere. Auch wenn sie sie oft dumm dastehen lässt, an der Grenze zur Respektlosigkeit, wird man den Eindruck nicht los, dass sie ihren Protagonisten deren Sünden verzeiht und dabei das Menschliche in den Vordergrund stellt. Sie reduziert sie nicht auf ihre Jobs (Dealer, Prostituierte, Kriminelle), sondern zeigt sie mit all ihren Sehnsüchten, Wünschen und Gefühlen.
Mein Lieblingscharakter ist übrigens Maureen, die mich mit ihrer Scharfzüngigkeit und den Wortgefechten, die sie sich mit anderen liefert, köstlich unterhalten hat.

Kleiner Hinweis an die Bloggerkollegen: Lisa McInerney ist eine von uns. Ihr Sprachtalent ist durch ihre Bloggerei entdeckt worden. Auf Empfehlung eines Schriftstellers hat sie sich zunächst an Kurzgeschichten herangewagt. „Glorreiche Ketzereien“ ist ihr Debütroman, für den sie 2016 u. a. für den Irish Book Award nominiert wurde. Tja, so kann’s gehen.

Und natürlich erhält das Buch von mir eine dicke fette Leseempfehlung!

© Renie