Rezension Rezension (5/5*) zu Giovannis Zimmer: Roman von James Baldwin.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Des ist die Geschichte...


„Dies ist die Geschichte von David und Giovanni..“
Paris, Anfang der 1950er Jahre. Der junge Amerikaner David genießt in der Hauptstadt Frankreichs das „savoir vivre“, lebt von den Zuwendungen seines Vaters. Er hat eine Verlobte, Hella. Doch als diese eine Reise durch Spanien unternimmt, begegnet David Giovanni und beginnt mit diesem eine leidenschaftliche und nicht minder verhängnisvolle Affäre.

Die Geschichte von David und Giovanni ist vor allem eine Geschichte über Begierde, Begehrlichkeiten, Scham und Schuld. Der afroamerikanische Schriftsteller James Baldwin bricht 1956 mit seinem Roman „Giovannis Zimmer“ gleich zweimal ein Tabu. Er schrieb über die homoerotische Beziehung zweier Männer zueinander. Und diese beiden Männer sind weiß. Man muss diesen Roman wohl mit dem Auge der damaligen Zeit lesen. Denn aus heutiger Sicht sollten gleichgeschlechtliche Beziehungen keine besondere Aufregung mehr hervorrufen. Die eigentliche Verworfenheit aber, nämlich Davids Art und Weise einem Begehren zu folgen, diesen zu verleugnen, sich, wenn es darauf ankommt nicht zu deklarieren, einen Menschen in Abhängigkeit zu sich selbst zu bringen und diesen dann im Stich zu lassen, diese Verworfenheit ist zeitlos.

David ist so ganz der „All American Boy“, aus gut situierter Familie, sauber, bieder, brav. Er ist einer der ausgezogen ist um… Ja was? Sich zu finden, zu lernen zu lieben? David wuchs ohne Erinnerung an seine Mutter auf, sie starb als er noch als er klein war. Zu lieben hat er wohl nie gelernt. Vom Vater hat er ein Bild des „richtigen Mannes“ vermittelt bekommen, einer der mit Frauen zugange ist, der gerne trinkt, der das sagen hat. Auch gegenüber seiner Schwester Ellen, die nach dem Tod von Davids Mutter, mit an der Erziehung Davids beteiligt war.

„Ein Mann, sagte Ellen knapp, ist nicht dasselbe wie ein Stier. Gute Nacht!“

David geht also nach Frankreich, wo Amerikaner finanziell im Nachkriegseuropa ein leichtes Leben führen können. Er geht „…vielleicht…mich selbst zu finden…. Das ist eine interessante Wendung, die es meiner Meinung in keiner anderen Sprache gibt und die ganz gewiss nicht das heißt, was sie behauptet, sondern den bohrenden Verdacht nahelegt, dass etwas verlegt wurde.“

Als David Giovanni eines Nachts in einer Bar kennen lernt, ist alles nur Trieb und Begierde. Zumindest von seiner Seite. Denn Giovanni liebt David, aber David bekennt sich nicht. Sie ziehen sogar zusammen, in Giovannis Zimmer. Das Zimmer wird Sinnbild dieser Beziehung, klein, schmutzig, dekadent. Es ist eine Beziehung, die tragisch endet. Und David findet sich, ja wo „in times of troubles“, allein, verlassen. Es sind sehr ambivalente Gefühle, die James Baldwin zu David herbeischreibt. Baldwins ausdrucksstarke Sprache – wenn man dem Nachwort zu diesem Roman von Sasha Marianna Salzmann folgt, weiß der Autor auch ganz genau, wovon er spricht - trifft mit ganzer Wucht.