Rezension Rezension (5/5*) zu Fräulein Gold. Schatten und Licht (Die Hebamme von Berlin 1) von Anne Stern.

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10. Mai 2020
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Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Gelungener Auftakt einer historischen Hebammen-Saga

INHALT
1922:
Hulda Gold ist gewitzt und unerschrocken und im Viertel äußerst beliebt. Durch ihre Hausbesuche begegnet die Hebamme den unterschiedlichsten Menschen, wobei ihr das Schicksal der Frauen besonders am Herzen liegt. Der Große Krieg hat tiefe Wunden hinterlassen, und die junge Republik ist zwar von Aufbruchsstimmung, aber auch von bitterer Armut geprägt. Hulda neigt durch ihre engagierte Art dazu, sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen. Zumal sie bei ihrer Arbeit nicht nur neuem Leben begegnet, sondern auch dem Tod. Im berüchtigten Bülowbogen, einem der vielen Elendsviertel der Stadt, kümmert sich Hulda um eine Schwangere. Die junge Frau ist erschüttert, weil man ihre Nachbarin tot im Landwehrkanal gefunden hat. Ein tragischer Unfall. Aber wieso interessiert sich der undurchsichtige Kriminalkommissar Karl North für den Fall? Hulda stellt Nachforschungen an und gerät dabei immer tiefer in die Abgründe einer Stadt, in der Schatten und Licht dicht beieinanderliegen.
(Quelle: Rowohlt)

MEINE MEINUNG
Der Roman „Fräulein Gold-Schatten und Licht“ ist der gelungene Auftakt einer neuen großartigen historischen Trilogie aus der Feder der deutschen Autorin Anne Stern, in deren Mittelpunkt die junge Berliner Hebamme Hulda Gold steht. Mit ihrer stimmigen Mischung aus zarter Liebesgeschichte, fesselndem Kriminalfall und der faszinierend ambivalenten Kulisse der 1920er Jahre in Berlin hat mich diese unterhaltsame Saga von Beginn an in ihren Bann gezogen.
Durch Sterns lebendigen und sehr anschaulichen Schreibstil gelingt es rasch, in die historische Vergangenheit des Jahres 1922 und in die unterhaltsame, aber auch fesselnde Geschichte um die sehr eigenwillige, selbstbewusste Hauptfigur Hulda Gold einzutauchen. Als sehr aufgeweckte, überall beliebte Hebamme ist sie im Berliner Elendsviertel Bülowbogen unterwegs und kann es sich wegen ihrer übergroßen Neugier nicht verkneifen, eigene Nachforschungen zum rätselhaften Tod einer älteren Prostituierten anzustellen. Dabei dauert es auch nicht lange, bis sie mit dem ermittelnden Kommissar North aneinandergerät.
Gekonnt entführt uns Stern ins Berlin der Goldenen 1920er Jahre - eine pulsierende Metropole im Wandel der Zeiten, allgegenwärtig noch die Auswirkungen des 1. Weltkriegs und ein Leben voller Kontraste und Abgründe, in dem Fortschritt, Luxus und Reichtum, aber auch bittere Armut, Verwahrlosung und Kriminalität nah beieinanderliegen. Gekonnt und atmosphärisch dicht portraitiert Stern das facettenreiche Alltagsleben und schillernde Nachtleben in der damaligen Hauptstadt der Weimarer Republik. Sie lässt uns am Schicksal der kleinen Leute teilhaben, gibt uns Einblick in die komplizierten politischen Verhältnisse der damals sehr labilen Demokratie und vermittelt insgesamt ein sehr stimmiges, authentisches und recht düsteres Bild der damaligen Zeit.
Die Geschichte lebt neben der sehr lebendig eingefangenen, zeitgeschichtlichen Kulisse vor allem von seinen interessanten und vielschichtig angelegten Figuren. Die verschiedenen Charaktere sind allesamt detailliert und liebevoll ausgearbeitet, so dass sie äußerst lebensnah wirken. Hervorragend gefallen hat mir vor allem die sympathische, sehr aufgeweckte 26-jährige Hulda, die als ledige, berufstätige Hebamme ihre Unabhängigkeit zu schätzen weiß, für die damalige Zeit aber als ein spätes Mädchen galt. Sie ist eine tatkräftige, selbstbewusste und unkonventionelle Frau, die sehr mitfühlend und hilfsbereit angesichts der Missstände in ihrem Kiez ist, sich aber auch durchzusetzen weiß und sich so manches Mal in große Schwierigkeiten bringt. Eine faszinierende, recht rätselhafte und unnahbare Figur mit vielen Ecken und Kanten ist auch der ermittelnde Kommissar Karl North, der immer wieder von großer Dunkelheit umfangen ist und mit seiner Herkunft und Vergangenheit zu kämpfen hat. Da er die Ermittlungen zu Ritas Tod nur mit sehr geringem Engagement vorantreibt, mischt sich Hulda zunehmend in die Nachforschungen ein. Oft amüsant, bisweilen aber auch etwas anstrengend empfand ich das Hin-und Her zwischen den beiden schwierigen Charakteren. Jede Begegnung glich einer Achterbahnfahrt der Gefühle und schwankte zwischen zarten Annäherungsversuchen und ruppigen Reaktionen. Schließlich gelingt es den beiden aber doch, allerdings mit Hilfe einiger Zufälle, die Hintergründe für Ritas traurigen Tod aufzudecken.
Die Ermittlungen führen uns zu vielen abgründigen Seiten der Gesellschaft, dorthin wo Elend, Armut, Prostitution, Alkoholismus und Verbrechen allgegenwärtig sind. In eingeschobenen Passagen mit Auszügen aus einem Notizbuch der verstorbenen Rita Schönbrunn erhalten wir schrittweise Einblicke in das bedrückende Leben dieser Frau, die uns schrittweise an ihrem tragischen Schicksal und ihrem sozialen Abstieg teilhaben lassen. Zudem erfahren wir mehr über ein düsteres Kapitel der deutschen Medizingeschichte und den schockierenden und grausamen Umgang mit Nervenkranken in den Irrenanstalten und Nervenlazaretten jener Zeit.
Nach dem Epilog zum Ausklang darf man sehr gespannt sein, wie sich die Geschichte zwischen Hulda und Karl weiterentwickeln wird und ob es bald einen neuen packenden Fall für das immerhin erfolgreiche Ermittlerteam aus Hebamme und Kommissar geben wird.

FAZIT
Ein gelungener Auftakt einen neuen Hebammen-Saga mit einer stimmigen Mischung aus zarter Liebesgeschichte, fesselndem Kriminalfall, sympathischen Charakteren und viel Berliner Flair!
Eine fesselnde Zeitreise ins Berlin der 1920ger Jahre voller Licht und Schatten!