Rezension Rezension (5/5*) zu Einsame Schwestern von Ekaterine Togonidze.

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu Einsame Schwestern von Ekaterine Togonidze
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Zwei Herzen, zwei Seelen, ein Körper

Die 16-jährige Lina und ihre gleichaltrige Schwester Diana führen ein einsames Leben. Die siamesischen Zwillinge sind von der Taille abwärts miteinander verbunden. Von der Außenwelt abgeschirmt, wohnen die beiden mit ihrer Großmutter in einem kleinen Haus unter ärmlichen Umständen im post¬sowjetischen Georgien. Ihre Mutter Elene ist tot, ihr Vater Rostom Mortschiladze, der als Professor an einer Fachhochschule unterrichtet, hat sie schon in der Schwangerschaft verlassen. In einer Gesellschaft, die für Behinderte wenig Mitgefühl hat, ist Elenes Cousin Zaza der einzige Kontakt zur Welt draußen. In ihren Tagebüchern finden die Jugendlichen einen Rückzugsort und die Möglichkeit, ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten Ausdruck zu verleihen. Doch dann stirbt die Großmutter und die Zwillinge sind plötzlich ganz auf sich alleine gestellt…

„Einsame Schwestern“ von Ekaterine Togonidze ist ein aufrüttelnder, eindringlicher Roman über das Leben mit einem besonderen Schicksal.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen, die wiederum in etliche Abschnitte untergliedert sind. Neben den Passagen, die aus der Sicht von Rostom erzählt werden, wechseln sich die Tagebucheinträge von Lina und Diana ab. Dabei ist es der Autorin gut gelungen, einen authentischen Sprachstil für die Eintragungen der beiden Teenager zu finden. Auch die in Linas Passagen eingestreuten Gedichte sowie die wunderbaren Metaphern und Symbole, die an mehreren Stellen im Text zu entdecken sind, machen den Roman in sprachlicher Hinsicht besonders.

Mit Diana und Lina geht es um zwei Hauptprotagonistinnen, die es besonders schwer im Leben haben. Durch ihr Tagebuch wird ihre Gefühls- und Gedankenwelt sehr anschaulich und nachvollziehbar. Dabei stellt der Leser schnell fest, wie unterschiedlich die beiden Charaktere sind: Während Lina eher unbeschwert, verträumt und etwas naiv ist, ist Diana die vernünftigere und bodenständigere von beiden. Beim Lesen kommt man den Zwillingen sehr nahe, sodass ich schon nach wenigen Seiten viel Mitgefühl für die beiden entwickelt habe. Ihr Denken und Handeln ist zum Teil ihrer speziellen Situation geschuldet, zum Teil aber auch recht typisch für ihr Alter. Auch die übrigen Personen wirken realitätsnah.

Die Thematik der siamesischen Zwillinge spricht mich sehr an. Mit einem Schwesternpaar in den USA gibt es ein reales Vorbild für die Geschichte. Bemerkenswert ist es, dass die georgische Autorin die erste Schriftstellerin war, die in ihrem Heimatland körperliche Behinderung als Thema literarisch verarbeitet hat. Es hat mich tief erschüttert, wie Diana und Lina missbraucht werden, was man ihnen alles zumutet und wie die beiden von der Gesellschaft geächtet werden. Kaum jemand nimmt sie als eigenständig denkende Individuen wahr. Zudem gelingt es der Autorin gut, die inneren Konflikte der beiden Heranwachsenden deutlich zu machen und gleichzeitig einfühlsam darzustellen, wie sie mit dem Fehlen von Freiheit und Privatsphäre umgehen müssen. Die Geschichte regt somit in mehrfacher Hinsicht zum Nachdenken an und lässt den Leser so schnell nicht wieder los.

Natürlich kann das Cover ein solches Schwesternpaar nicht so einfach zeigen, weshalb ich die optische Umsetzung des Themas durch den Verlag als sehr gelungen betrachte. Auch der Titel ist passend gewählt.

Mein Fazit:
„Einsame Schwestern“ von Ekaterine Togonidze ist eine aufwühlende, beeindruckende Lektüre, die betroffen macht und noch eine Weile bei mir nachklingen wird. Ich kann diesen bewegenden Roman uneingeschränkt weiterempfehlen.