Rezension Rezension (5/5*) zu Effingers: Roman von Gabriele Tergit.

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.480
50.072
49
Buchinformationen und Rezensionen zu Effingers: Roman von Gabriele Tergit
Kaufen >
Eine großartige Familienchronik

Gabriele Tergit hat den Roman „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann bewundert. So sollen sich manche Motive entsprechen, auch wird eine Familie ins Zentrum des Romans gestellt. Daher rührt wohl der oft zitierte Vergleich der beiden Werke.
„Effingers“ erschien zum ersten Mal 1951. Zu nah war da möglicherweise noch der Zweite Weltkrieg, das Buch war nicht annähernd so erfolgreich, wie es das verdient hätte. Ohne die Neuauflage in diesem Jahr wäre ich sicher nicht in den Genuss dieses epochalen Werkes gekommen, das die Jahre 1879 bis 1939 mit atemberaubender Genauigkeit der historischen Ereignisse sowie der gesellschaftlichen Entwicklungen abbildet.

Familie Effinger ist eine deutsch-jüdische Familie. Die Brüder Paul und Karl werden erfolgreiche Unternehmer und bauen ihre kleine Schraubenfabrik nach und nach aus. Schließlich produzieren sie Automobile und exportieren sie ins Ausland. Obwohl Geschwister, haben die beiden eine völlig unterschiedliche Persönlichkeit: Paul ist eher der sparsam-fleißige Kaufmann, Karl der Lebemann, der gerne feiert und Luxus um sich hat. Entsprechend unterschiedlich wählen sie ihre Gefährtinnen und in konträrem Umfeld wachsen ihre Kinder auf.

Die Stärke Tergits liegt in ihren detaillierten Beschreibungen dieser Lebensumstände, die ich niemals als langweilig empfunden habe. Kurze Kapitel wechseln sich ab, stellen eine Vielzahl an Charakteren vor (der vorangestellte Familienstammbaum ist sehr hilfreich). Mal boomt die Wirtschaft, mal gibt es Krisen. Die Gesellschaft wandelt sich enorm, Frauen fordern ihre Rechte ein. Dabei darf man feststellen, dass sich viele Dinge, viele Trends und die Kritik daran wiederholen und damit völlig zeitlos sind.

Anschaulich wird dem Leser die deutsche Geschichte aufgefrischt: Der Große Krieg, die Versailler Verträge, Wirtschaftskrisen, Inflation, Weimarer Republik, Nazi-Terror - Immer aus dem Blickwinkel dieser wohlhabenden, privilegierten Großfamilie erzählt und doch auch darüber Bericht erstattend, wie es dem „einfachen“ Volk erging.
Der latent vorhandene Antisemitismus tritt dabei erst gegen Ende in den Vordergrund, als die Nationalsozialisten an die Macht kommen und mit einer gnadenlosen Ungerechtigkeit „durchregieren“.

Tergit erzählt die Geschichte, die auch die Geschichte ihrer eigenen Familie sein soll, fast nüchtern, ohne ausladende Moral. Dadurch kamen mir die Figuren unglaublich nah, ich fühlte mit ihnen. Es ist die Geschichte einer deutschen Familie jüdischen Glaubens, die unbedingt gelesen gehört. Von mit volle Punktzahl!
5/5 Sterne


von: Michael Köhlmeier
von: Sigrid Undset
von: Johan Bargum
 

Beliebteste Beiträge in diesem Forum