Rezension (5/5*) zu Dunkelblum: Roman von Eva Menasse

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.527
24.560
49
66
Buchinformationen und Rezensionen zu Dunkelblum: Roman von Eva Menasse
Kaufen >
Kollektives Schweigen

Dunkelblum ist eine fiktive Kleinstadt im Burgenland, an der österreichisch-ungarischen Grenze. Hier brodelt es im Sommer 1989.
Es beginnt damit, dass sich ein fremder Herr aus Boston im Hotel Tüffer einquartiert und unbequeme Fragen nach einem Massengrab stellt, in dem ermordete jüdische Zwangsarbeiter liegen sollen.
Außerdem hat sich eine Gruppe Wiener Studenten - Hippies - im Ort eingefunden, um den alten, verwahrlosten jüdischen Friedhof zu restaurieren.
Der örtliche Reisebüroleiter Rehberg, der sich als Hobbyhistoriker mit der Geschichte des Ortes beschäftigt, plant mit der umtriebigen, jungen Lehrerin Flocke ein Heimatmuseum. Nicht alle sind darüber begeistert. Gibt es doch Jahre, über die der Mantel des Schweigens gelegt wurde und keiner sollte ihn lüften.
Im übrigen haben die Bürger momentan ganz andere Sorgen. Der noch amtierende, nun aber todkrank in der Klinik liegende Bürgermeister hat der Gemeinde einen Vertrag mit dem Wasserwerk eingebrockt. Dabei wollen einige, allen voran der Bauer Faludi, autark bleiben. Auf der Suche nach dem möglichen Standort eines Wasserturms wurde nun aber ein menschliches Skelett ausgegraben.
Und große weltpolitische Geschehnisse machen auch vor Dunkelblum nicht Halt. Der Ostblock zerfällt, Flüchtlinge drängen sich an der ungarisch-österreichischen Grenze.

Es sind sehr viele Handlungsstränge und ein großes Aufgebot an Figuren, die Eva Menasse hier gekonnt zusammenführt und die der Leser erst einmal im Blick behalten muss.
Über allem liegt eine düstere Grundstimmung des Misstrauens und des Schweigens. Etwas Schreckliches muss damals geschehen sein, kurz vor Kriegsende. Doch die Alten, die davon wissen müssen, wollen nicht darüber reden oder verlieren sich in Andeutungen. Jeder hat seine ganz eigenen Gründe dafür.
„ Man wünschte Gott, dass er nur in die Häuser sehen könnte und nicht in die Herzen.“ Die Autorin aber lässt den Leser tief in die Herzen und in die Köpfe der Dunkelblumer blicken. Nach und nach erschließen sich ihm die Geheimnisse, die Verbindungen, die Abhängigkeiten der Figuren. Und die meisten Fragen werden beantwortet:
Welche Rolle spielte damals der heute noch hoch angesehene Alois Ferenz, der sich in einem Videointerview mit einer jungen Filmemacherin als unbelehrbarer Nazi entlarvt?
Wer war Horka, der „ Schwarze Mann von Dunkelblum“, der Mann fürs Grobe?
Wie wurde aus dem ehemaligen Dienstmädchen Resi die Wirtin des Hotels Tüffer?
Was hat den Hotelgast nach Dunkelblum geführt?
Eine Leerstelle im Roman bleiben aber die Geschehnisse in jener Nacht, als die Zwangsarbeiter ermordet wurden.
Eva Menasse benennt die Täter und erzählt von den Opfern. Manche sind beides. Es sind schreckliche, grausame Geschichten, die hier zutage kommen, aber auch anrührende.
Dabei bezieht sich die Autorin auf ein tatsächliches historisches Ereignis, das Massaker von Rechnitz. ( Österreichischen Lesern wird das ein Begriff sein, deutschen Lesern nun auch.) In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945, die Nacht auf Palmsonntag, wurden nach einem Fest auf Schloss Rechnitz an die 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet und vergraben. Das Massengrab wurde bis heute nicht gefunden. Rechnitz war aber kein Einzelfall. Hier im Burgenland ließ die deutsche Wehrmacht kurz vor Kriegsende noch den sog. Südostwall als Schutz vor der heranrückenden Roten Armee errichten. Dazu wurden 30.000 ungarische Juden als Zwangsarbeiter verpflichtet. Ähnliche Verbrechen wie in Rechnitz gab es an ca. 120 Orten entlang des Walls.
Dunkelblum steht stellvertretend nicht nur für Rechnitz, sondern für alle Orte, an denen es solche Massaker gab.
Eva Menasse geht es in ihrem Roman aber nicht um das damalige Morden, sondern um das jahrzehntelange Schweigen darüber. Was macht so etwas mit den Menschen innerhalb einer Gemeinschaft? Wie lebt man weiter mit den eigenen Verstrickungen oder mit dem Wissen um die Taten anderer? Ist ein Zusammenleben nur möglich, wenn man verdrängt, vergisst?
Die Autorin ist zu bewundern, wie souverän sie alle Fäden in der Hand hält und wie virtuos der Roman aufgebaut ist. Es gibt drei große Teile, mit jeweils 17 relativ kurzen Kapiteln. Die Gegenwartsebene im Jahr 1989 wechselt mit Rückblicken und Erinnerungen bis in die 1930er Jahre. Es gibt einen auktorialen Erzähler, der von einer Figur zur nächsten wechselt. Der Erzähler ( und somit der Leser ) weiß oftmals mehr als die jeweilige Figur.
Anfangs stellt das Buch einige Anforderungen an den Lesenden. Es ist nicht leicht , den Überblick zu bewahren. ( Ein Personenregister wäre hilfreich gewesen, zusätzlich zum Stadtplan auf der Umschlagsinnenseite.) Doch mit der Zeit gewinnen die Figuren an Profil. (Man fühlt sich wie ein Zugezogener in dieser Kleinstadt, der nach und nach vertrauter wird mit den Bewohnern hier. ) Es sind nur wenige, die sich eindeutig in Gut und Böse einteilen lassen. Es sind zutiefst menschliche Personen , stimmig in ihrer Vielschichtigkeit.
Was diesen Roman zu einer wahren Lesefreude macht, trotz des beklemmenden Themas, ist die Sprache der Autorin. Sie lehnt sich in der Satzstellung, im Rhythmus und in vielen Ausdrücken an ihrer österreichischen Muttersprache an. ( Im Anhang findet sich dazu ein Glossar der Austriazismen.). Das trägt zusätzlich zur Authentizität der erzählten Geschichte und der Personen bei. Auch der leicht humorige Unterton macht den Inhalt erträglicher . Dabei findet die Autorin großartige Bilder und Metaphern: „ In Dunkelblum haben die Mauern Ohren, die Blüten in den Gärten haben Augen, sie drehen ihre Köpfchen hierhin und dorthin, damit ihnen nichts entgeht, und das Gras registriert mit seinen Schnurrhaaren jeden Schritt.“
„ Dunkelblum“ ist ein Roman, der eine Zweitlektüre erfordert. Erst dann werden sich alle Andeutungen und Bezüge so richtig erschließen.
Eva Menasse ist eine wahre Meisterin ihrer Zunft. Sprach- und stilsicher, brillant komponiert, thematisch relevant ist „ Dunkelblum“ eines der herausragenden Romane in diesem Bücherherbst ( völlig unverständlich, warum es das Buch nicht auf die Longlist geschafft hat). Eine absolute Leseempfehlung!
„ Die Gruppe ist stärker als ein einzelnes Gewissen, aber vielleicht ist es auch andersherum: Der große, aufrechte, komplexe Mensch, die Krone der Schöpfung, ist so entsetzlich schwach im Gegensatz zur Gruppe, wehrlos ist er, wie ein vom Baum gefallenes Blatt.“