Rezension (5/5*) zu Dschinns: Roman von Fatma Aydemir

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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Großartig erzählt, packend, lesenswert

„Vielleicht sind das die Dschinns, die Wahrheiten, die immer da sind, die immer im Raum stehen, ob man will oder nicht, aber die man nicht ausspricht, in der Hoffnung, dass sie einen dann in Ruhe lassen, dass sie im Verborgenen bleiben für immer.“ (Zitat Seite 193)

Inhalt
In einer Woche wird Hüseyin Yılmaz sechzig Jahre alt und kann in Frührente gehen. Fast dreißig Jahre lang hat er in Deutschland gearbeitet und gespart, nun, 1999, hat er sich in Istanbul eine schöne, große Wohnung gekauft. Gerade sind die Möbel geliefert worden, sein Lebenstraum ist dabei, sich zu erfüllen, doch er kann ihn nicht mehr genießen. Dann an diesem ersten Tag in seiner neuen Wohnung erleidet er einen plötzlichen Herzinfarkt und stirbt. Ermine, seine Frau, und auch seine vier Kinder reisen aus Deutschland an und treffen in dieser Wohnung in Istanbul aufeinander und es ist nicht nur die Wohnung, die ihnen fremd ist. „Die Wohnung ist nur noch wie ein Museum, das Museum der Träume von Hüseyin Yilmaz. Und wer braucht schon Museen?“ (Zitat Seite 40)

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um die Mitglieder einer Familie, die Eltern und vier Kinder. Sie alle haben unterschiedliche Wünsche und Träume und auch ihre Geheimnisse. Es geht um Kinder, heute erwachsen, die zwischen den Kulturen aufgewachsen sind. Gefangen in den Traditionen der Eltern, wollen sie in ihrer neuen Heimat Deutschland anerkannt werden und ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben leben.

Charaktere
Hüseyin ist in Deutschland verschlossen geworden und zeigt seine Gefühle nicht. Ermine ist durch ein Erlebnis während der ersten Jahre ihrer Ehe geprägt. Über Deutschland weiß sie auch nach Jahren nichts, sie kennt nur Schule, Kindergarten, den nahen Supermarkt und lebt weiterhin dem überlieferten Frauenbild ihrer Heimat entsprechend. So müssen Sevda, die älteste Tochter, Hakan, Peri und auch der erst fünfzehn Jahre alte Ümit versuchen, selbst ihren Weg zu finden und in ihren Sehnsüchten verstanden zu werden. „Der Tisch ist groß und rund, er erzählt von Plänen für gemeinsame Familienessen und Spieleabenden mit Okeysteinen. Also Dingen, die man in dieser Familie nie macht.“ (Zitat Seite 36)

Handlung und Schreibstil
Die Autorin erzählt die Geschichte einer Familie zwischen unterschiedlichen Träumen, Sehnsüchten, gegenseitigen Missverständnissen und Verletzungen, indem sie jeder Figur eine eigene Stimme gibt. Einer Art Prolog, Hüseyin in der neuen Wohnung in Istanbul, folgen fünf Abschnitte, einer für jedes Familienmitglied. So erfahren wir die detaillierten Lebensgeschichten jeder einzelnen Figur, ihre Eigenheiten, Ansichten, Probleme und mit jedem Kapitel öffnen sich weitere Einblicke in die Konflikte dieser Familie, deren Mitglieder einander teilweise zu fremd geworden sind, um einander noch zu verstehen. Gleichzeitig erfahren wir durch die unterschiedlichen Sichtweisen und Blickwinkel mit jedem Abschnitt mehr über die Hintergründe. Die Sprache erzählt einfühlsam, glaubhaft und authentisch, wechselt gekonnt zwischen Distanz und Nähe.

Fazit
Dieser Roman ist die Geschichte einer Familie zwischen den Kulturen, zwischen den traditionellen Werten der ländlichen Osttürkei und dem modernen Deutschland des Jahres 1999, wobei die Themen zeitlos sind. Jede der insgesamt sechs Figuren hat ihr eigenes Kapitel mit den persönlichen Erfahrungen, Erinnerungen und Problemen, Geschichten die sich langsam zu einem Gesamtbild fügen. Diese besondere Art, von einer Familie zu erzählen, ist großartig, packend, lesenswert.


 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
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Ich genieße das Buch gerade als Hörbuch an meinen Bügeltagen und bin begeistert! Sehr schöne Rezi! Unterschreibe ich voll! ;)