Rezension (5/5*) zu Die tristen Tage von Coney Island: Geschichten von Crane

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Wertvolle Erinnerungen an einen Klassiker

Der "Pendragon Verlag", der in diesem Jahr selbst sein 40-jähriges Bestehen feiert, gratuliert kurz vor dessen 150. Geburtstag einem Autoren, der in letzter Zeit wohl so etwas wie das Lieblingskind des Verlags geworden ist: Stephen Crane, dem "James Dean der amerikanischen Literatur", wie es im Klappentext heißt. Das Geschenk: "Die tristen Tage von Coney Island", ein Buch, das 13 der wichtigsten Erzählungen Cranes und ein informatives und lehrreiches Nachwort enthält. Ich gratuliere ebenfalls - zu einem wunderbaren Band, der dazu beiträgt, Crane unvergessen zu machen...

Cranes Roman "Die rote Tapferkeitsmedaille" und Andreas Kollenders literarische Verbeugung "Mr. Crane" sind letztes Jahr im Verlag mit dem liebenswerten kleinen Drachen bereits erschienen, nun hat Herausgeber Wolfgang Hochbruck 13 Geschichten des mit 28 Jahren viel zu früh verstorbenen Schriftstellers zusammengestellt.

Es ist eine bemerkenswerte Sammlung geworden. Insbesondere sprachlich brilliert Crane. In oftmals lakonischen Sätzen schafft er es dennoch, eine ganz eigene und besondere Atmosphäre heraufzubeschwören. Sehr oft arbeitet er mit Lichtern und Farben, mit Naturschauspielen und persönlichen Schicksalen und entfachte bei mir dadurch wohlige Schauder der Melancholie. Verlassene Jahrmarktattraktionen in der Titelgeschichte, die auch auf dem Buchcover sehr schön festgehalten werden, vom Mond beleuchtete unruhige Wellen, die schwer wogten "wie ein längst in der Erinnerung entschwundener Busen, in dem das junge, unschuldige Herz noch vor Wonne rast" (aus "Seefahrer wider Willen", S. 31) - solche eindringlichen und wunderbaren Sätze bekommt man heute leider nur noch selten zu lesen.

Zudem entpuppt sich Crane als ironischer Gesellschaftsbeobachter mit spitzer Zunge, der sich auch einmal über seine Figuren lustig macht. Menschen, die sich "selbst im Angesicht des unerwarteten Todes" an das klammern, "was ihnen besonders wichtig war" - dem Programmheft des brennenden Theaters im kurzen unkonventionellen "Gefesselt" (S. 56) sind genauso Opfer seines feinen Spotts wie ein frisch verheiratetes Paar in "Die Braut kommt nach Yellow Sky", das am Ende genau wegen seines zuvor belächelten Verhaltens zum großen Gewinner der Geschichte wird.

Wenn die Menschen sich nicht selbst richten und bedrohen, sind es vor allem die Elemente, die ihnen bei Crane zu schaffen machen. Insbesondere Feuer und Wasser entpuppen sich als schwer besiegbare Gegner, doch auch eiskalte Blizzards machen es den Figuren des Buches nicht leicht. Dabei hat man das Gefühl, dass Crane selbst immer auf der Seite der Schwachen und Kranken steht - was wohl auch auf dessen eigene Biografie zurückzuführen ist. Crane lebte zeitweise "auf der Straße unter Bettlern und Kriegsveteranen", erfahren wir vom Verlag.

Mit den oftmals überraschenden Schlusspointen hält Crane den Leser:innen nicht selten den Spiegel vor. Ich fühlte mich ertappt, das Opfer einer Geschichte selbst vorschnell verurteilt zu haben, bevor das Finale eine ganz neue Sichtweise auf den Mann hervorbringt. In der Titelgeschichte schmunzelte ich am Ende über mich selbst, da Crane hier nicht nur den Protagonisten, sondern auch die Leser:innen ein wenig vorführt.

Und auch wenn das Buch mit drei Kriegserzählungen endet, die an die Zeit Cranes als Kriegsberichterstatter erinnern und vielleicht nicht die stärksten des Bandes sind, bleibt unter dem Strich ein wunderbares Denkmal an einen Autoren, der nicht in Vergessenheit geraten darf. Crane und den Literaturliebhaber:innen ist zu wünschen, dass der "Pendragon Verlag" seine ehrenwerte Arbeit daran in den nächsten Jahren fortführt.

Meine persönlichen Favoriten eines insgesamt beeindruckenden Buches: "Die tristen Tage von Coney Island", "Männer im Sturm", "Das blaue Hotel" und "Das offene Boot".