Rezension (5/5*) zu Die Stunde zwischen Frau und Gitarre von Clemens J. Setz

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Der Wahnsinn in Romanform

„Ist dies auch Wahnsinn, so ist doch Methode drin.“ (William Shakespeare)

Mehr brauche ich eigentlich über „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ von Clemens J. Setz nicht sagen ha ha ha.

Okay, ich versuch´s trotzdem, diesem 1000-seitigen Klopper eine Rezension zu „verpassen“, auch wenn ich ziemlich sprachlos bin, was mich die letzten Wochen begleitet hat und ich mir sicher bin, diesem Machwerk in keiner Weise irgendwie gerecht werden zu können.

Dazu ist der Roman zu komplex, zu irre, zu… – ihr seht, mir fallen kaum adäquate Adjektive ein *g*.

Natalie fängt als Betreuerin in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen an und wird dort „Bezugi“ für mehrere Klienten, darunter ein begnadeter Maler sowie ein im Rollstuhl sitzender junger Mann namens Alexander Dorm. Dieser bekommt regelmäßig Besuch von Christopher Hollberg – ausgerechnet dem Mann, dessen Frau sich vor ein paar Jahren das Leben genommen hat, da sie zuvor von Alexander Dorm gestalkt wurde. Schon bald wird Natalie ob des „Arrangements“ skeptisch und fängt an, Nachforschungen anzustellen…

Das ist nur eine der vielen Ebenen dieses Meisterwerks des Irrsinns. Selten sind mir so viele Charaktere begegnet (inklusive Erzähler *g*), die viel reden, aber immer (oder meistens) am Thema vorbei erzählen. Das ist auf der einen Seite anstrengend zu lesen, aber auf der anderen Seite irre komisch und hat mich nicht nur einmal zum Lachen gebracht. Dann gab es Passagen, in denen die Fragezeichen in meinen Augen gar nicht groß genug sein konnten und dann wiederum welche, in denen die Leser:innen Natalie so dermaßen nah kommen, dass es schon fast (körperlich) weh tut.

Überhaupt, Natalie: sie ist eine grandios gezeichnete Hauptfigur, die man abwechselnd schütteln oder knuddeln möchte – je nachdem, in welcher Situation sie sich gerade befindet. An einer Stelle sagt sie über sich: „Oh Gott, ich bin total peinlich. Ich kann nicht mal normale, gerade Gedanken denken." (S. 217/218) Ja, Natalie – das bist du. Und trotzdem…

Ich komme auch jetzt noch nicht von dem Roman los; meine Gedanken kehren immer zurück zu Natalie, Alexander, Mike und all den anderen Figuren, die mich über sechs Wochen täglich begleitet haben. Eigentlich sollte man diesen Roman mindestens einmal im Jahr lesen – er regt einen auf, treibt einen in den Wahnsinn und lässt einen trotzdem den realen Irrsinn für ein paar Tage vergessen und entsprechend erden.

So, und nun – Ende. Glocken- und Glasklare Leseempfehlung und damit verdiente 5*.

©kingofmusic


 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Thüringen
Eigentlich sollte man diesen Roman mindestens einmal im Jahr lesen
Hätt‘ ich das mal lieber getan, denn leider kann ich mich an den umfangreichen Inhalt mittlerweile nicht mehr erinnern. Beim Lesen deiner Rezi gab es Wiedererkennungseffekte, aber sonst leider: nix. Nun frage ich mich, ob das ein Zeichen dafür ist, wie ich den Roman damals gemocht habe. Doch, den mochte ich... es liegt es den Neuronen bei mir, bestimmt nicht am Buch. :p
Nein, ich war damals darin vertieft, eingesogen, das weiß ich noch.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ha, erst reagierst du überhaupt nicht auf meine Nachfrage "Comment?" und nun folgt sogar eine ausführliche Rezension! Immerhin ;).

Ich freue mich, dass dich das Buch gepackt hat. Wie wir alle wissen, ist Clemens J. Setz der aufregendste und genialste Autor der Gegenwartsliteratur. Gegenargumente prallen in diesem Fall an mir ab. ;) Solltest du also noch nicht genug Wahnsinn verspürt haben, kannst du "Indigo" gleich folgen lassen. Aber Vorsicht: Dagegen ist die "Stunde" konventionell und leicht verdaulich. Gerade dich als Kafka-Freund könnte "Indigo" besonders ansprechen.


bestimmt nicht am Buch.
Nein! Kann ja auch überhaupt nicht so sein. Warum auch? :)

PS: Am 13. Februar erscheint sein neuer Roman "Monde vor der Landung".



Buchinformationen und Rezensionen zu Monde vor der Landung von Clemens J. Setz
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Literaturhexle

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Teammitglied
2. April 2017
19.250
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Clemens J. Setz der aufregendste und genialste Autor der Gegenwartsliteratur. Gegenargumente prallen in diesem Fall an mir ab.
Objektivität: Fehlanzeige :p
ich mir sicher bin, diesem Machwerk in keiner Weise irgendwie gerecht werden zu können.
Das erinnert mich an ein Zitat aus unserer aktuellen LR Leküre, nämlich dass man nur die schlechten Bücher zusammenfassen kann. Über die RICHTIG guten kann man indessen nicht reden (oder so ähnlich;)).