Rezension (5/5*) zu Die Stille des Meeres von Donal Ryan

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Stille des Meeres von Donal Ryan
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„ Tu Gutes“

Der irische Schriftsteller Donal Ryan hat es mit dem Roman „ Die Stille des Meeres“ auf die Longlist für dem Man Booker Prize geschafft. Er erzählt darin die Geschichte dreier Männer.
Im ersten Kapitel geht es um eine syrische Familie. Farouk ist Arzt, seine Frau Wissenschaftlerin. Beide haben eine kleine Tochter, Amira. Als der Krieg immer näher rückt ( „ Der Krieg war allmählich gekommen, war um sie herum gewachsen und nicht plötzlich vor ihrer Tür ausgebrochen.“), entscheidet sich Farouk für die Flucht nach Europa. Doch das führerlose Boot kentert und Frau und Tochter verschlingt das Meer.
In der zweiten Geschichte geht es um den 23jährigen Lampy. Er lebt mit seiner Mutter und seinem Großvater in einer kleinen Stadt in Irland; seinen Vater kennt er nicht. Lampy ist voller Selbstzweifel, antriebslos und leicht aufbrausend. ( „ Er kriegte sein Temperament einfach nicht unter Kontrolle. Ob sein Vater wohl genauso schlimm gewesen war?“) Seine verschlossene Mutter und sein Zoten reißender Großvater lieben ihn zwar, doch als nachstrebenswertes Vorbild eignen sich beide nicht. Lampy hat keinen Beruf erlernt, sondern arbeitet als Mädchen für alles in einem Altersheim. Seit ihn seine Freundin verlassen hat, ist er völlig durcheinander.
Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht John, ein unsympathischer Zeitgenosse. Als skrupelloser Lobbyist hat er es zu einem Vermögen gebracht. Nur einmal traf ihn die Liebe, doch das Glück war nicht von Dauer.
Was sich bisher wie ein gut gemachter Erzählband liest, wird im letzten Kapitel zu einem Roman. Denn hier führt der Autor die Lebenswege der drei ungleichen Männer auf überraschende Weise zusammen.
Jede der Geschichten hat ihren eigenen Ton.
Sehr berührend und in einem gehetzt wirkenden Erzählstil wird das dramatische Schicksal von Farouk und seiner Familie geschildert. Hier bekommen die sattsam bekannten Nachrichtenbilder von Ertrinkenden im Mittelmeer ein individuelles Gesicht. Eindrücklich erzählt Donal Ryan von den Bedrohungen in Syrien, von rücksichtslosen Schleppern, die mit der Angst von Menschen ihr Geld verdienen, vom Drama auf dem Meer und von dem Trauma der Überlebenden.
Mit Lampy bekommen wir einen ganz anderen Typ Mann präsentiert, einer, der seinen Weg noch nicht gefunden hat und sein mangelndes Selbstwertgefühl hinter chauvinistischen Sprüchen und Gewaltausbrüchen versteckt. Aber auch ihn beschreibt der Autor äußerst glaubhaft. Der Leser kann für ihn nicht viel Sympathie entwickeln, im günstigsten Fall hat man Mitleid.
John dagegen ist eine abstoßende Figur. Entscheidend und prägend für sein weiteres Leben war wohl der frühe Tod des älteren Bruders, der zugleich der Liebling der Familie war. Ungeliebt und unbeachtet wächst er mit seinen Geschwistern auf. Doch musste er deshalb so böse werden? Beeinflussen und manipulieren und so das Leben anderer zerstören, damit verdiente er sein Geld. Und die einzige Episode , als ihm jemand anderer wichtiger war als er selbst, endet dramatisch. Mit Geld und Macht lässt sich doch nicht alles auf der Welt kaufen.
Als große Lebensbeichte ist dieses Kapitel angelegt. „ Vergib mir Vater, denn ich habe gesündigt.“ so legt John Rechenschaft ab über sein Leben. Einzig dieses Kapitel wird aus der Ich- Perspektive erzählt, von einer Figur, die am wenigsten zur Identifikation einlädt.
Wie Donal Ryan im letzten Abschnitt „ Seeinseln“ diese drei unterschiedlichen Männer zusammenführt, ist große Kunst. Obwohl konstruiert, wirkt es auf mich absolut glaubhaft.
Das Buch beginnt mit einer Geschichte, die Farouk seiner Tochter vor dem Einschlafen erzählt: von der Kommunikation der Bäume. Wie Wissenschaftler herausgefunden haben, „ sprechen“ Bäume über unterirdische Gänge miteinander. Dieses unsichtbare Netzwerk sorgt dafür, dass sich Bäume umeinander kümmern, schwächere mit Nährstoffen versorgen. „ Sie kennen das Gebot, das einzige, was wahr und einzuhalten ist. Welches? …Tu Gutes“.
Dieser Satz „Tu Gutes“ taucht mehrmals im Buch auf. Vielleicht ist das die Botschaft des Romans? Wir sind alle füreinander verantwortlich, egal, woher wir kommen, wo wir leben, wer wir sind. Wir Menschen, obwohl wir wie Seeinseln im großen Meer des Lebens treiben, sind alle miteinander verbunden.
Auch wenn jede der Geschichten für sich alleine stehen kann ( wobei die von Farouk mich am stärksten berührt hat ), so macht erst das Finale aus „ Die Stille des Meeres“ ein wirklich großartiges Buch. Dazu trägt v.a. auch die wunderbare Sprache des Autors bei.