Rezension (5/5*) zu Die Sonne, so strahlend und Schwarz von Chantal-Fleur Sandjon

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Ein queerer Coming-of-Age-Roman in Versform...

Seit ihrer ersten Begegnung ist Nova völlig fasziniert von Akoua. Ihre Gedanken kreisen nur noch um dieses Mädchen, das mit ihrem Strahlen Novas Welt zum Leuchten bringt. Es ist Liebe auf den ersten Blick und der Beginn einer aufregenden Zeit voller erster Male. Ein Neuanfang, der keinen Platz mehr für bittere Erinnerungen lässt. Denn Nova ist glücklich und denkt kaum noch an das, was ihre Mutter, ihr kleiner Halbbruder und sie erlebt haben. Doch dann geschieht das Unvorstellbare und der Schmerz kehrt zurück… (Klappentext)

Wow, was für eine Entdeckung ist dieses Buch bitte?! Ein Versroman (ohne Reime), temporeich, kreativ, lebendig, sprachgewaltig, reduziert, verdichtet, voller Kraft. Ernst, humorvoll und poetisch zugleich. Solch ein Roman ist mir bislang noch nicht untergekommen - und ich lese wirklich viel!

Es geht um Nova, die mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Halbbruder in Berlin lebt, in einer neuen Wohnung mit der Hoffnung auf einen Neuanfang. Als sie Akoua begegnet, knistert es sofort zwischen den beiden, und eine intensive Zeit beginnt. Ein erstes Mal verliebt sein, ein erstes Mal küssen, ein erstes Mal - alles! Für Nova ist Akoua wie eine Sonne, wärmend die Strahlen, lebensspendend. Eine schwarze Sonne. Denn Akoua ist Schwarz - so wie Nova auch.

Doch Nova hat auch eine Vergangenheit - Erlebnisse, über die sie nicht sprechen möchte, die sie nur noch vergessen will, ausmerzen, weg! Akoua ahnt, dass Nova dunkle Geheimnisse in sich trägt, und als die Vergangenheit plötzlich wieder über die kleine Familie hereinbricht, ist fraglich, wie tragfähig die zarte Liebe zwischen Nova und Akoua wirklich ist...

Tatsächlich sollte überlegt werden, ob zu Beginn des Romans nicht eine Triggerwarnung ausgesprochen werden sollte. Queerfeindlichkeit, Rassismus, häusliche Gewalt, Alkoholismus, Depression, Mobbing, Fehlgeburt u.a.m. könnten Themen sein, mit denen nicht jede:r Leser:in gut umgehen kann. Andererseits finde ich persönlich es immer besser, die Themen selbst beim Lesen zu entdecken, als im Vorfeld mit der Nase darauf gestoßen zu werden.

Die Versform verleiht der Erzählung eine ungeheure Dynamik. Angerissen, auf den Punkt gebracht, emotional intensiviert. Gleichzeitig gebührt dem Verlag ein großes Lob, denn dieser hat die kreative Form des Romans auch bei der Gestaltung umgesetzt. Angefangen beim queer-bunten Cover über die Sonne, die sich als schwarzer Druck über viele der Buchseiten zieht, bis hin zur eigenwilligen Seitengestaltung. Steht Novas Welt Kopf, tut dies auch der Text, was beim Lesen etwas fordert. Muss etwas sehr Bedeutsames betont werden, steht auf einer Seite plötzlich auch nur ein einziges Wort. Gibt es eine Gefühlsexplosion, geht der Text strahlenförmig in verschiedene Richtungen ab. Solch eine gelungene Komposition: Text und Gestaltung zaubern Bilder im Kopf!

Trotz der ernsten Themen, die diesen Roman durchziehen, strahlt dieser letztlich Lebensmut, Kampfeswillen und Zukunftsorientiertheit aus. Ein wirklich außergewöhnlicher Coming-of-Age-Roman, der mich überraschen, überzeugen und bezaubern konnte. Grandios! Unbedingte Leseempfehlung - und das nicht nur für das empfohlene Lesealter (ab 14 Jahre)!


© Parden