Rezension Rezension (5/5*) zu Die Schule am Meer von Sandra Lüpkes.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Schule am Meer von Lüpkes, Sandra
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Spannendes Schulexperiment in historisch bewegter Zeit

Die Autorin Sandra Lüpkes ist auf der Nordseeinsel Juist aufgewachsen und widmet sich in ihrem historischen Roman einem interessanten Kapitel der Inselgeschichte.
Im Jahr 1925 gründet eine Gruppe idealistischer Lehrer ein ungewöhnliches Internat. Ihre „Schule am Meer“ hat sich der Reformpädagogik verschrieben, die ein ganzheitlich orientiertes Lernen praktiziert. Zu den Gründungsmitgliedern gehören der theaterbegeisterte Pädagoge Martin Luserke, der spätere Schulleiter und das Lehrerehepaar Paul und Anni Reiner. Später kommen weitere Lehrer hinzu, so z.B. der junge Pianist und Dirigent Eduard Zuckmayer. Der ältere Bruder des bekannten Theaterschriftstellers wird der engagierte und allseits beliebte Leiter von Schulchor und Schulorchester. Die Schüler sind oftmals Kinder aus gut situierten Familien aus aller Welt; es finden sich bekannte Namen darunter, so ein Sohn von Alfred Döblin, aber auch Beate Uhse.
Anfangs lebte und arbeitete man in einfachen, beinahe provisorischen Unterkünften in den Dünen; dank großzügiger Spenden , v.a. von jüdischen Mäzenen, konnte man im sich Verlauf der Zeit sturmsichere Häuser, ja sogar eine richtige Theaterhalle leisten.
Die Schule bestand allerdings nicht einmal zehn Jahre, nur von 1925 bis 1934.
Sandra Lüpkes verbindet in ihrem Roman reale Personen und tatsächliche Ereignisse mit fiktiven Figuren und einer erfundenen Geschichte.
Da ist zum einen das Lehrerehepaar Reiner. Anni Reiner stammt aus einer reichen jüdischen Industriellenfamilie ( sie hat beinahe ihr ganzes Geld in die Schule gesteckt ); Paul Reiner, ein ehemaliger Anarchist, war dagegen bettelarm. Die beiden haben vier Töchter. Anni wird als warmherzige und entschlossen zupackende Frau beschrieben. Allerdings erlaubt der Alltag an der Schule kaum ein Privatleben. Paul setzt sich über seine Kräfte hinaus für die Belange der Schule ein. Und ohne die finanzielle Unterstützung von Annis Mutter wäre vieles an der Schule nicht möglich gewesen.
Ein weiterer Sympathieträger des Romans ist der Schüler Maximilian, genannt Mücke, dessen Familie in Bolivien lebt. Wir begleiten ihn von der Sexta bis zur Oberprima. Anfangs ist Mücke ein dicklicher, schüchterner Junge, den großes Heimweh plagt und der das morgendliche Bad in der kalten Nordsee fürchtet. Im Verlauf der Geschichte wird er seinen Platz in der Gemeinschaft gefunden haben und am Ende verlässt er als reifer, junger Mann die Schule mit dem Abitur in der Tasche.
Auch die Inselbewohner bekommen ein Gesicht. Da sind z.B. die tüchtige Hauswirtschafterin der Schule , die ihre kluge Patentochter Marje als Schülerin hier unterbringt.
Die Hotelierstochter Theresa und der ehemalige Kellner Gustav Wenninger, zuerst ihr Geliebter, später ihr Ehemann, sind eingefleischte Insulaner. Sie stehen der Schule mehr als skeptisch gegenüber, sie halten sie für „ sittenwidrig“ und beschimpfen sie als „ Juden- und Kommunistenschule“.
In vielen Anekdoten und Episoden bekommt der Leser einen lebendigen Einblick in den Schulalltag und damit in das reformpädagogische Konzept. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem praktischen Lernen im Einklang mit der Natur. Unterrichtet wird in Kleingruppen, das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler beruht auf Gleichwertigkeit. Großen Wert legt man auf Handwerk, Sport, Musik und Schauspiel. Dazu gibt es Schulgärten, ein Seeaquarium, ein schuleigenes Segelboot, ein Theater, Chor und Orchester.
Auch der legendäre Eiswinter 1929, in dem die Insel komplett von der Außenwelt abgeschnitten war, wird lebendig geschildert.
Immer wieder hat die Schule auch mit finanziellen Sorgen zu kämpfen, stand oftmals vor dem Ruin.
Doch die politische Entwicklung macht auch vor der Insel nicht Halt. Im Gegenteil, die Nazis fassten früh Fuß auf der Insel und versuchten Schüler für sich zu gewinnen. Nach 1933 verließen viele jüdische Kinder die Insel ( die Jüdin Anni Reiner musste auch gehen ) und die Schule war nicht mehr zu halten. Obwohl Luserke noch versuchte, sich den neuen Machthabern anzudienen und so am Ende eine eher unrühmliche Rolle spielte.
Sandra Lüpkes hat intensiv recherchiert. So konnte sie sich auf das tagebuchartige „ Logbuch“ des Schulleiters Luserke stützen, ebenso auf Berichte ehemaliger Schüler. Die Pädagogin Anni Reiner wurde ihr vertraut durch die zahlreichen Briefe, die diese an ihre Tochter Renate geschrieben hat und durch Gespräche mit der jüngsten Tochter Annis. Im Nachwort gibt uns die Autorin Einblick in ihre Arbeit am Buch.
Die Schwarz- Weiß- Photos im Vorsatz des Buches und ein Lageplan der Schule machen die Geschichte noch anschaulicher.
„ Die Schule am Meer“ ist ein ruhig erzählter, unterhaltsamer und äußerst lesenswerter Roman über ein spannendes Schulexperiment in historisch bewegter Zeit. Sandra Lüpkes hat glaubwürdige Figuren geschaffen, mit denen der Leser mitlebt und mitleidet. Auch die Insel selbst gewinnt Kontur durch stimmungsvolle Naturbeschreibungen und viel Lokalkolorit .
Meine Rezension möchte ich schließen mit den Worten des erwachsenen Mücke: „ Doch im Leben geht es nicht um Angst. Auf den Mut kommt es an.“