Rezension Rezension (5/5*) zu Die Schauspielerin: Roman von Enright, Anne.

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7. Juni 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Schauspielerin: Roman von Enright, Anne
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Die Schattenseiten des Ruhms

Die irische Autorin Anne Enright ist Spezialistin für komplizierte Familienverhältnisse. Das hat sie ihn ihrem preisgekrönten Roman "Das Familientreffen" bewiesen. In ihrem neuen Roman "Die Schauspielerin" durchleuchtet sie nun eine ambivalente Mutter/Tochter Beziehung und führt uns in die Film-und Theaterwelt. Anne Enright ist mit einem Theaterregisseur verheiratet, hat also zumindest aus zweiter Hand Einblick in diese spezielle Welt der Stars und Sternchen.

Die Erzählerin in diesem Roman, Norah ist die 58jährige Tocher der Schauspielerin Katharine O`Dell. Sie entschließt sich, genervt von den vielen Spekulationen, die über Katharine kursieren, selbst ein Buch über ihre berühmte Mutter zu schreiben. Dabei lässt sie uns Leserinnen an ihren Recherchen, Erinnerungen und Reflexionen teilhaben. Norah geht es nicht nur darum, das Auf und Ab der Karriere ihrer Mutter zu beschreiben und die ihr immer wieder von der Öffentlichkeit gestellte Frage zu beantworten, wie der Strar "wirklich" war. Es geht ihr vor allem darum, ihre Beziehung zur Mutter zu reflektieren und Antworten auf ihre brennenden Fragen zu finden:
Warum hat ihre Mutter ihr nie den Namen ihres Vaters genannt?
Wurde sie von ihrer Mutter wirklich geliebt oder hat die begabte Schauspielerin ihre Mutterrolle nur sehr gut gespielt?
Was hat Katharine dazu bewogen, in ihren späteren Jahren einem Filmproduzenten ins Bein zu schießen?
Um es vorweg zu nehmen: Einfache und klare Antworten auf diese Fragen liefert uns die Autorin nicht. So ist fraglich, ob es überhaupt eine klare Grenze gibt zwischen der Schauspielerin einerseits und der wahren, privaten Person Katharine anderseits. Anne Enright lässt hier Interpretationsspielräume zu, die jedoch die Lektüre gerade deshalb interessant macht und zum Nachdenken anregt.

Norah scheint trotz ihrer schwierigen Kindheit und Jugend ihren eigenen Weg gefunden zu haben. Sie ist als Schriftstellerin tätig, seit vielen Jahren verheiratet mit dem Mann den sie liebt, und hat zwei wohl geratene erwachsene Kinder. Aus dieser Perspektive heraus gelingt es ihr, den Lebensweg der Mutter auch aus deren Sicht heraus zu verstehen. Sie sieht eine begabte schöne Frau, die den grausamen Gesetzten des Showbiz ausgeliefert war. Sie sieht die Kämpfe, die sie ausfechten musste um Engagements zu bekommen, auch als sie nicht mehr blutjung war. "Wenn eine Frau damals dreißig wurde, ging sie nach Hause und zog die Tür hinter sich zu." Sie sieht welche Übergriffen sie von Fans und vor allem von Filmproduzenten ausgeliefert war. Hier liest sich der Roman teilweise wie ein Kommentar zur MeToo Debatte.

Die Autorin entfaltet die Geschichte der Protagonistinnen nicht chronologisch. Sie nähert sich dem Kern ihrer Themen eher spiralförmig mit Vor-und Rückblenden. Zentrale Szenen begegnen uns beim Lesen, jeweils leicht verändert, mehrmals. Dadurch wird die Lektüre nicht immer leicht und erfordert Konzentration. Der Stil, in dem Anne Enright schreibt ist treffsicher und anschaulich bei der Darstellung komplizierter Beziehungen. Anne Enright hat eindeutig Sprachtalent.

Insgesamt also ein Roman auf hohem sprachlichen Niveau, der - ohne einfachen Antworten zu liefern - die komplexe Welt der Celebrities thematisiert. Empfehlenswert!