Rezension (5/5*) zu Die Sammlerin der verlorenen Wörter: Roman von Pip Williams

Naraya

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1. November 2019
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Sammlerin der verlorenen Wörter: Roman von Pip Williams
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Frauenwörter

Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts. Harry Nicoll arbeitet als Lexikograph an der Erstellung des „Oxford English Dictionary“ mit. Da er nach dem Tod seiner Frau Tochter Esme allein großziehen muss, fühlt auch sie sich bald im Skriptorium, dem Arbeitsplatz ihres Vaters, zuhause. Nach und nach beginnt sie sich für das Sammeln von Wörtern zu interessieren, doch nicht jeder empfindet das für eine junge Frau als angebracht. So forscht Esme im Alleingang weiter und muss feststellen, dass eine Nicht-Aufnahme eines Begriffs in das Wörterbuch durchaus mehr bedeutet, als sie bisher geglaubt hat.

In ihrem Debütroman „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ erzählt Pip Williams – basierend auf historischen Fakten und Dokumenten - die Entstehungsgeschichte des berühmten Lexikons. Der Fokus liegt dabei jedoch auf einem ganz bestimmten Blickwinkel: dem der Frauen, die an dieser Meisterleistung beteiligt waren. Stellvertretend verfolgen wir dabei das Leben von Protagonistin Esme zwischen 1887 und 1915, die auch als Ich-Erzählerin fungiert; nur auf den letzten 20 Seiten wechselt die Perspektive. Was anderswo geschieht, wird geschickt durch Briefe vermittelt.

Neben dem offensichtlichen Thema der Sprache, geht es hier vor allem um die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Sie leisteten einen großen Anteil der Arbeit am Wörterbuch, wurden aber kaum oder gar nicht entlohnt. Nach Beginn des ersten Weltkrieges nahm dieser Anteil nur noch zu, obwohl selbst dann noch Männer dem Engagement entgegenstanden. Parallel zur Entstehung des Wörterbuchs verläuft die Erstarkung der Frauenbewegung, die schließlich 1928 zur Einführung des Wahlrechts für Frauen führte.

Es steht außer Frage, dass Pip Williams mit ihrem Roman ein außergewöhnliches und wichtiges Debüt gelungen ist. Besonders spannend war es für mich, die Arbeit am „Oxford English Dictionary“ und den Kampf der Suffragetten durch Esmes Perspektive zu erleben. Leider kamen dann noch viele weitere Handlungssegmente und damit Themen hinzu: der Erste Weltkrieg, Liebe, Mutterschaft, Klassenunterschiede usw. Hier hätte ich mir einen deutlicheren Fokus gewünscht und auch mit den Entscheidungen, die die Autorin für ihre Figur trifft, war ich nicht immer einverstanden, vor allem was den Schluss betrifft. Dennoch hat mich der Roman sehr berührt und der Mai beginnt so definitiv mit einem Highlight.

 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Danke für die Rezension, das Buch sieht sehr interessant aus.
Ich habe zum gleichen Thema - Entstehung des Oxford English Dictionary - ein Buch mit einem ganz anderen Fokus, es geht um die briefliche Mitarbeit eines Mannes, der lebenslang in Broadmoor einsaß. Er litt unter Zwangsvorstellungen und galt als gemeingefährlich, aber er war auch sehr belesen, und die Mitarbeit an dem Wörterbuch gab ihm wohl wenigstens zeitweise die Möglichkeit, seine zerstörerische Energie etwas zu bändigen.