Rezension (5/5*) zu Die militante Madonna: Roman von Irene Dische

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Das Leben: ein einziges Abenteuer

Kurzmeinung: Besser gehts nicht.
In ihrem neuen Roman unterhält uns Irene Dische mit dem Lebensbild des Chevaliers d’Eon de Beaumont. Seine Lebensdaten (1728 bis 1810) zeigen bereits an, dass die historisch verbürgte Person in Zeiten lebte, in denen sich heftige gesellschaftliche Umbrüche vollzogen. Als einer der wenigen französischen Aristokraten entkam er der Guillotine, die während und nach der französischen Revolution Jagd auf Reichtum und Adel machte, indem er wieder nach London flüchtete, das ihm schon vorher lange Zeit zweite Heimat war. Seine Lebenszentren waren London, Paris und das französische Land. Ein unsteter Charakter.

Das Leben des Chevalier war überaus bewegt. Er liebte es in Frauenkleidern aufzutreten und spielte ein Spiel mit der höheren Gesellschaft, vor allem der britischen, die hohe Wetten darauf abschloss, ob er ein Männlein oder ein Weiblein sei. Niemand wusste es genau außer seiner Mutter, die aber abgeschieden und friedlich und in Schweigen gehüllt fernab in Frankreich saß, während er als Interimsbotschafter des Königs Louis XV in London Hof hielt. In seiner Jugend spionierte er in Frauenkleidern am russischen Hof, als Soldat nahm er am Krieg teil, erlitt zwei Kriegsverletzungen und es ist mindestens eine militärische Heldentat verbürgt.

Der Kommentar:
In „Die militante Madonna“ läßt Irene Dische ihre Figur d’Eon von ihrem Leben erzählen. Das war bunt und reich an Erfahrungen. Darunter manchen, die man selber nicht machen möchte. Die Zeiten waren noch irrer als die heutigen. Frankreich und England waren Zentren der Politik und der Kultur. Beides waren Monarchien, eine ist es bis heute. Frankreich jedoch hat sich weiterentwickelt. Damals aber, im 18. Jahrhundert war England weit liberaler als Frankreich. Deshalb lebte es sich dort viel leichter, wenn man ein Mann oder eine Frau des Geistes war, die Meinungs- und Pressefreiheit zu schätzen wussten. Allerdings wurden vor allem hinter den Kulissen Fäden gezogen. In den Intrigen, die gesponnen wurden, konnte man sich leicht verfangen. D’Eon würde lakonisch sagen: „Mal verliert man, mal gewinnt man“.

D’Eon spricht gespreizt. So sprachen die Gelehrten halt. Mit dieser Sprache muss man können. Aber selbst in eine gewisse Gestelztheit der Sprache hinein setzt Irene Dische immer einmal wieder wundervolle Bonmots: „Miteinander zu lachen ist eine Umarmung“. Oder „[Heutzutage] wird die Schminke mit dem Chirurgenmesser aufgetragen“, wenn d’Eon Zwiesprache mit dem Leser hält. Was er manchmal macht. Aber nicht zu oft.

Irene Dische macht deutlich, was für eine Ausnahmeerscheinung ihre Figur zu ihrer Zeit gewesen ist. Blitzgescheit, gelehrt, sich wie ein Chamäleon in unterschiedlichste Lebensbedingungen einfindend, sei es im Soldatenleben, auf dem geschilffenen Parket der Diplomatie, der Hofbälle oder als Finanzberater und Jurist, als Schriftsteller und Ränkeschmied, als Degenfechter oder als schwache Frau. Immer hat d’Eon einen Plan und einen Gedanken im Kopf, der ungewöhnlich ist. Und immer wieder fällt er oder doch sie (??) durch seine Geschicklichkeit und Anpassungsfähigkeit auf die Füße. Historische Sidekicks machen den Roman vollends rund.

Fazit: Ein rundum gelungener historischer Roman, voller Geschick komponiert und sehr gekonnt gerafft, denn Irene Dische schreibt keinen ausufernden Roman über die Französische Revolution, gleichwohl sie vorkommen muss, weil sie in die Lebenszeit des Chevalier fällt. Auch schreibt Dische keinen Roman über Queerness. Wer dies erwartet, ist bei der militanten Madonna falsch. Doch Queerness kommt vor, weil sie ein Teil des Lebens des Chevalier d’Eon de Beaumont gewesen ist. Der sich hiermit mit mir bekannt gemacht hat. Auf allerschönste Art und Weise. Danke, Irene Dische!

Kategorie: Historischer Roman: 5 Punkte.
Unterhaltung: 5 Punkte
Verlag Hoffmann und Campe , 2021.


 
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