Rezension Rezension (5/5*) zu Die Königin von Berlin: Sie war die Muse von Bertolt Brecht. Roman von Roth, C.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Königin von Berlin von Roth, Charlotte
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Immer nur spielen

München 1920: Karoline Neher ist noch sehr jung, als sie beschließt der bürgerlichen Enge ihrer Herkunft zu entfliehen. Kurzerhand gibt sie ihre langweilige Arbeitsstelle bei der Bank auf, verlässt die Familie, entledigt sich ihres Vornamens. Ohne Geld und Plan verlässt sie mit dem nächsten Zug München. Als Carola setzt sie alles daran Schauspielerin zu werden. Es ist ein hartes Stück Arbeit, ein weiter Weg und es braucht sehr gute, auch intime Beziehungen, bis sie es schafft, dass Berlin ihr zu Füßen liegt in den letzten Jahren der Weimarer Republik.
Die Königin von Berlin ist keine Biografie, schreibt die Autorin Charlotte Roth gleich zu Beginn ihres Romans in ihrem Grußwort als Abendspielleiter. Es ist ein Roman, der von einer Frau erzählt die für das Theater lebt. Was Biografen verboten ist, ist dem Romanautor gestattet. So folgt die Geschichte Carola Nehers ihrer eigenen Dramaturgie. Carola Neher lebte und spielte wirklich. Es ist dem erzählerischen Geschick der Autorin zuzuschreiben, dass alles was sie geschrieben hat, genau so hätte passieren können. Mit dieser gelungen Einleitung und dem Aufbau des Romans wie ein Theaterstück zu gestalten mit mehreren Akten und Vorhängen hat mich Charlotte Roth zum ersten Mal erwischt.
Carola Neher war für ihre Zeit wohl eine besondere Frau. Sie ist nicht zu feige, ihrem Leben hinterherzuspringen, als es ihr davon zu schwimmen drohte. Sie weiß, ihre Talente und Reize dort einzusetzen, wo es nötig ist. „Ich werde schamlos sein müssen, sagt sie sich….Schamlos, ja. Aber nicht wahllos. Und der da gefällt mir nicht.“ Carola hält an einer Devise fest, die Karriere niemals für einen Mann aufzugeben. Bis diese Devise stark auf die Probe gestellt wird, als Carola auf Bertolt Brecht, den wohlbekannte Dramatiker, Begründer des epischen Theaters trifft und von ihm protegiert wird, und sie sich in den unscheinbaren und kränklichen Alfred Henschke, besser bekannt als Klabund, verliebt und diesen heiratet. Da wo mich Charlotte Roth zum zweiten Mal schwer erwischt hat, ist es als sie Klabund „Ich hab dich so lieb“ (mein Lieblingsgedicht) von Ringelnatz aufsagen lässt. Ich hab dich so lieb, ich könnte dir ohne Bedenken, eine Kachel aus meinem Ofen schenken… „Aber ich habe gar keinen Ofen“, sagt Klabund zu Carola. „Der Herr Ringelnatz, glaube ich, hat auch keinen. Ich mag ihn gerne. Den Herrn Brecht gern zu mögen fällt mir ein wenig schwerer, und dich mit ihm zu teilen, gelänge mir wohl leichter, wenn ich mich im gewachsen fühlte.“
Der Herr Brecht kommt in diesem Buch nicht gut weg. Um großartige Stücke zu schreiben, muss man nicht unbedingt ein großartiger Mensch gewesen sein, sagt viele Jahrzehnte später Carolas Sohn in einem Nebenakt der Handlung. Bertolt Brecht schrieb Carola die Polly Peachum und den Barbara-Song aus der Dreigroschenoper auf den Leib. „Ja da musste doch viel geschehen, ja da gab es überhaupt kein Nein.“ Brecht war es nicht gewohnt, dass eine Frau zu ihm Nein sagte. Carola Neher tat es, als sie ihren Mann beim Sterben nicht alleine lassen wollte. Ob ihr das zum Verhängnis wurde Jahre später zum Ende ihres Lebens und von Brecht keine Unterstützung bekam - „ja da muss man kalt und herzlos sein…und man blieb ganz allgemein“ – wer weiß?
Über Carolas Schicksal und Lebensende hält sich Charlotte Roth sehr kurz. Weil die Nazis sie für eine Kommunistin hielten, musste sie Deutschland verlassen und ging in die Sowjetunion. Weil sie nie Mitglied einer kommunistischen Partei war, schickte man sie dort in ein stalinistisches Straflager, wo sie 1942 starb. Bretter, die die Welt bedeuten, in einer Welt, die an einem Wendepunkt stand. Carola Neher wollte nie politisch sein, sie wollte immer nur spielen. Dieses Spiel ging nicht auf.