Rezension Rezension (5/5*) zu Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
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Wien
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Die Unendlichkeit der Fantasie


„Michael, das Künstlerkind aus dem bunten Haus.
Michael, der Heimatlose in der zertrümmerten Welt.
Michael – auch ich in Arkadien.
Michael, der Münchner Erfolgsautor.
Übrig blieb Michael, das Ende der Geschichte“

Es ist der Roman eines Lebens, des Lebens des Michael Ende, begnadeter Fantast und Autor. Charlotte Roth hat ihren biografischen Roman „Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit“ mit diesem Leben versehen. Im Unterschied zur Biografie, die allein Fakten geschuldet ist, kann sich die Autorin in einem biografischen Roman die Freiheit nehmen, in das Schicksal der Protagonisten zu schlüpfen. Nicht nur die Außenwelt, sondern auch die Innenwelt in allen Facetten zu schildern.

Es ist die Zeit zwischen den zwei großen Kriegen, in der Michael Ende zur Welt kam. Der Vater Edgar ist Maler surrealer Bilder, einer der im Dunkeln zu Hause ist. Michaels Mutter Luise – älter als Edgar – versorgt die Familie mit kleinem Kunsthandwerk. Auf engem Raum wohnt die Familie in Garmisch im bunten Haus, lebt vom Nötigsten. Die Lampe in der Stube hing so, dass drei Menschen Licht zum gemeinsamen Lesen hatten. Eine Dreieinigkeit: Vater-Mutter-Sohn.

„Sie tanzten seil. Sie stritten. Sie machten sich Sorgen. Aber in diesen Jahren im Bunten Haus fanden sie einander immer wieder, so schnell, wie sie sich verloren hatten, und die Sekunde des Schreckens war, ehe sie unerträglich wurde, schon vorbei.“

Michael ist das vielgeliebte Kind verschrobener Eltern. Die fantastischen Bild des Vaters sind Nahrung für Michaels Fantasie, lässt ihn durch das „Land Gu“ streifen. Beschützt und geborgen von Lieflam, dem Schafgeist mit dem gläsernen Herzen, das im Ohr steckt und bei Streit zerbricht.
Das Leben ändert sich nach einem Umzug nach München. Vaters Zunft von jeher eher brotlos gilt nun als entartet. Die „braunen Herren“ schwadronieren durch die Gassen, zertrampeln mit ihren Soldatenstiefeln die Fantasie zum Nichts. Dem Krieg ist von der Dreieinigkeit nichts mehr zu vorhanden. Der Vater verlässt die Familie, die Mutter weint nach innen. Michael wird erwachsen und bleibt trotzdem zeitlebens Mutters Kind. Luise vereinnahmt den Sohn, steht so lange sie lebt immer zwischen ihm und seinen Frauen.

Mit Ingeborg Hoffmann findet Michael Ende eine ebenbürtige Partnerin, intellektuelle Stütze und moralische Instanz. Nach langen Jahren und vielen Versuchen als Bühnenautor zu reüssieren, bricht aus Ende eine Geschichte heraus: „Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer wohnte, war nur sehr klein.“. Der Grundstein für eine beispiellose Erfolgsgeschichte als Autor von Kinderbüchern war gelegt.

Charlotte Roth erzählt mit so viel Herz und Seele vom Erzählen und dem Erzähler Michael Ende…

„Über seinen Hang zum Absonderlichen, Befremdlichen, Wirklichkeitsfernen, das so wirklichkeitsfern gar nicht war, sondern die Antwort auf eine Wirklichkeit, die den Halt verlor, sich selbst ad absurdum führte.“

…aber auch seinem Hadern mit den „grauen Herren“ im Anzug, die an seiner künstlerischen Freiheit zehren, von einem schlichten Schuhkarton voller Ideen und Gedankenschnipseln, von der Entstehung von „Momo“ und der „Unendlichen Geschichte“, von seinem erbitterten Streit mit den Filmemachern, die aus seinem „Zauberbuch“ einen amerikanischen Blockbuster machen.
Charlotte Roths Buch ist eine Liebeserklärung an Michael Ende, dessen Name ihn gelegentlich in Angst und Schrecken versetzte: „Endlos, unendlich, das bedeutete ohne Ende…“

Und es ist eine Liebserklärung an die Unendlichkeit der Fantasie.
„Hab keine Angst, Michael…es hat kein Ende…“