Rezension Rezension (5/5*) zu Die Frau auf der Treppe (detebe) von Bernhard Schlink.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Frau auf der Treppe von Bernhard Schlink
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Ein Bild, Liebe, Vergangenheit und mögliche Zukunft

Natürlich habe ich von Bernhard Schlink „Der Vorleser“ gelesen und auch noch einiges andere. Aber so richtig begeistert hat mich bisher vor allem eine kleine Erzählung von ihm: „Das Mädchen mit der Eidechse“ aus dem Geschichtenband „Liebesfluchten“, erschienen bei Diogenes. Darin geht es um ein Gemälde, das einen jungen Mann sein Leben lang begleitet und Schlüssel zu einem wichtigen Geheimnis seiner Familie ist. Nun stieß ich irgendwie auf Schlinks „Die Frau auf der Treppe“, in der es ebenfalls um ein Bild und deren Einfluss auf das Leben einer Gruppe von Menschen geht. Das musste ich unbedingt ausprobieren. Und auch wenn ich nicht den Begeisterungsmoment noch einmal finden konnte, wie es „Das Mädchen mit der Eidechse“ geschafft hat, hat mir diese Entdeckung doch eine interessante Lesezeit geschenkt.
Mit dem Bild „Die Frau auf der Treppe“ verbindet sich das Schicksal von 4 Menschen: der dargestelllten Frau, ihrem Mann und Auftraggeber für das Bild, dem Künstler und späteren Partner der Frau und dem Rechtsanwalt, der über Jahre hinweg die Eigentumsfrage des Bildes zu klären versucht und der sich unsterblich in die Frau verliebt. Und so streiten in dem Roman vier Menschen um die Macht über das Abbild der Frau und drei Männer um die Macht über die Frau selber. Wem gehört das Bild? Mit wem verbringt die Frau ihr Leben? Nach Verwicklungen und langen Jahren der scheinbaren Ruhe um diese Fragen kulminiert die Lösung dieser Fragen dann nach Jahrzehnten in der Einsamkeit einer abgelegenen Bucht an der australischen Küste unter dem Widerschein von gefährlichem Buschfeuer und im Angesicht einer grausamen, lebensbedrohenden Krankheit.
Auf dem Klappentext wird die Schwierigkeit angesprochen, den Roman einem Genre zuzuordnen: Krimi? Liebes- und Lebensgeschichte? Autobiografie? Auch meine Einschätzung dazu lautet. „Ist nicht wichtig, denn es ist einfach eine gute Geschichte.“
Doch nicht nur das: Es ist auch ein Buch, das Vergangenheit, Zukunft und unsere Rolle bei der Gestaltung der Welt in den Mittelpunkt stellt und dabei an vielen Stellen immer wieder sehr nachdenklich zu machen versteht:
<blockquote> „Bei allem, was vor mir lag, war ich ersetzbar. Nicht ersetzbar war ich nur bei dem, was hinter mir lag.“ </blockquote>
<blockquote> „Wird man so, wenn man ein Leben lang mit dem Recht zu tun hat? Es geht nicht mehr darum, wer man ist, sondern dass man im Recht ist? Und der andere im Unrecht?“ </blockquote>
<blockquote> „Die Geschichte geht weiter. Aber unsere Welt ändert sich nicht mehr. Nichts bedroht sie mehr, kein Kommunismus, kein Faschismus, keine jungen Leute, die alles anders haben wollen. Seit dem Ende des Kalten Krieges gibt es zu unserer Welt keine Alternative mehr. Nennen sie mir ein Land, das nicht unter dem Gesetz des Kapitals lebt – es fällt Ihnen keins ein, auch Chinas Kommunismus ist Kapitalismus geworden. Das Gesetz des Propheten, für das Muslime töten und sterben, ist keine Alternative, nur eine Aufgabe für Polizei und Geheimdienste.“ </blockquote>
Mein Fazit: Schlink hat mich wieder in den Bann gezogen, anders als gedacht, aber auf eine besondere Art und durch eine ganz besondere Geschichte, durchsetzt mit Denkanstößen, die die Gestaltbarkeit der Zukunft in den Mittelpunkte stellen und uns mit unserer Verantwortung dafür konfrontieren, ohne dabei zu aufdringlich zu sein.
Ich gebe 5 Sterne. Das Buch hat nach meiner Einschätzung einfach noch mehr Leser verdient.