Rezension Rezension (5/5*) zu Die Farben des Feuers: Roman von Pierre Lemaitre.

Bibliomarie

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10. September 2015
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Tage der Abrechnung

Am Tag der Beisetzung des Bankiers Marcel Péricourt, stürzt oder springt der Enkel aus dem Fenster und bleibt schwerverletzt auf dem Katafalk liegen. Madeleine Pericourt verliert sich in ihrer maßlosen Trauer und in ihrer Sorge um den nach dem Sturz gelähmten Sohn Paul. So steht sie zwar formell an der Spitze des Bankhauses, aber der Prokurist der Bank Gustave Joubert lenkt die Geschäfte. Umgeben ist Madeleine vom raffgierigen Onkel Charles und vom Hauslehrer André Delcourt, der auch ihr Liebhaber ist. Erst spät, zu spät begreift Madeleine, dass keiner ihrer Vertrauten ihr Wohlwollen im Auge haben. Joubert will Rache für die Kränkung, dass er mit einem Almosen im Testament des alten Péricourt abgespeist wurde.
Doch als Madeleine alles verloren hat, erwacht in ihr die Kraft ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Die politischen Wirren, die Wirtschaftskrise und die Vorboten des Zweiten Weltkriegs spielen ihr in die Hände und sie beginnt die Schuldscheine für den Verrat einzufordern.
Pierre Lemaitre findet einen leichten, oft sogar ironischen Ton um seine Figuren zu portraitieren. Der Roman entwickelt fast die Dynamik einer Kriminalgeschichte, wenn Madeleine Zug für Zug ihren Rachefeldzug umsetzt. Die farbige Darstellung der Gesellschaftsschichten und deren Umwälzungen im Vorkriegsfrankreich ist prägnant und gelungen. Der Roman entwickelt einen Sog, dem ich mich als Leserin nicht entziehen konnte. Besonders gelungen fand ich die Frauen der Geschichte, nicht nur Madeleine, sondern auch Kindermädchen Léonce und Pflegerin Vladi sind großartig portraitiert und stehen für ihre jeweilige Gesellschaftsschicht. Es ist ein groß angelegter Sitten- und Gesellschaftsroman, in den Lemaitre Madeleines Abrechnung einbettet. Dabei gefiel mir ganz besonders die Raffinesse der einzelnen Handlungsstränge, die auch mit Kritik an der damaligen Gesellschaft nicht spart. Ob nun es die Arroganz des Großbürgertums oder die Eitelkeit der Politiker oder die Geltungssucht der Presse ist. Madeleine hat viel verloren, aber ihre Freiheit hat sie sich zurück erobert.
Ein wunderbarer Roman, dessen brillante Sprache mich nachhaltig beeindruckt hat.