Rezension (5/5*) zu Die Bäume: Roman von Percival Everett

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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»Nothing that boy did could ever justify what happened to him.«

Percival Everett gelingt das Kunststück, rassistische Menschen in einer bitterbösen und dabei urkomischen Satire an den Pranger zu stellen, das Thema aber dennoch nicht zu trivialisieren. Es ist die Art von Humor, die dir im Halse stecken bleibt, weil er in so einem perfekten Kontrast zum eigentlich Grauenhafen steht. Denn so originell und unterhaltsam Everett die Handlung des Romans auch gestaltet, lässt er Leser:innen dessen realen Hintergrund doch niemals vergessen.

Emmett Till war erst 14 Jahre alt, als er im Jahr 1955 auf brutalste Art gelyncht wurde, weil eine weiße Frau namens Carolyn Bryant behauptete, er habe sie unsittlich berührt und verbal belästigt. Seine grauenhaft entstellte Leiche wurde wenige Tage später gefunden.

Der Prozess verstieg sich zu absurden Verschwörungstheorien: So sei der gefundene Tote gar nicht Emmett Till gewesen, sondern eine von schwarzen Aktivisten hergerichtete Leiche. Die beiden Mörder, Carolyns Ehemann Roy Bryant und dessen Halbbruder John William Milam, wurden nach einer nur 67-minütigen Abstimmung von einer ausschließlich weißen Jury freigesprochen. Zwei Monate später gaben sie dem Look Magazine für ein Honorar von $4.000 (entspricht etwa $44.464 im Jahr 2023) ein Interview, in dem sie den Mord zugaben und detailliert beschrieben. Nach dem amerikanischen Rechtssystem konnten sie dafür jedoch nicht mehr belangt werden.

2017 gab die inzwischen 72-jährige Carolyn Bryant zu, Till habe sie weder ergriffen, wie ausgesagt, noch verbal belästigt. »Nothing that boy did could ever justify what happened to him.« Eine schale, Jahrzehnte zu späte Reue.

Percival Everett stellt Carolyn und die Nachfahren der Mörder in den Fokus einer vielschichtigen Thriller-Groteske, die Genregrenzen überschreitet und dabei deutlich macht: Der Rassenhass ist beileibe nicht Geschichte. Die Charaktere werden überspitzt dargestellt, bis ins Äußerste karikiert, und wirken dennoch wie ein real existierender Menschenschlag. Es ist ein echtes Kunststück, Figuren so nahe am Absurden anzulegen und sie dennoch glaubhaft darzustellen.

Mit Ed Morgan und Jim Davis lässt Everett zwei schwarze MBI-Beamten in einer Gegend ermitteln, in der das N-Wort immer noch zum guten Ton gehört. Die beiden lassen die Rednecks, denen sie begegnen, mit genüsslicher Höflichkeit schwitzen, und das ist wahnsinnig witzig – bis dir das Lachen mal wieder gefriert.

Der eigentliche Kriminalfall ist zwar spannend, doch nur der Rahmen für eine blutige Tour de Force der Rache, die literarisch die Täter-Opfer-Rolle umkehrt. Ach, jetzt kommt erst der Aufschrei? Jetzt, wo weiße Menschen auf ähnliche grauenvolle Weise sterben? Die Geschichte steigert sich zu einem Finale, das jeglichen Realismus über Bord schmeißt und tötet, tötet, tötet. Und dich dabei zwingt, die eigenen Ansichten zu hinterfragen.

Und nun zu meinem einzigen Kritikpunkt:

Ich habe das Buch sowohl im englischen Original als auch in der deutschen Übersetzung gelesen, und das ist ein himmelweiter Unterschied. Wörter und Phrasen wurden nach meinem Empfinden oft zu wörtlich übersetzt, der typische Südstaaten-Slangs findet keine passende umgangssprachliche Entsprechung im Deutschen. Der Sprachfluss ist über lange Passagen hinweg sehr holprig, viele Ausdrücke wirken hölzern.

Fazit:

Mit Horror, Klamauk und gnadenlosen Fakten entblättert Everett die Leser:innenseele, und das muss ein Autor erstmal so souverän und gekonnt hinkriegen. Dies ist definitiv ein neues Lieblingsbuch.

Chapeau, Mr. Everett.

 

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