Rezension (5/5*) zu Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung: Warum es keine Mitte me

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.381
21.192
49
Brandenburg
Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Notwendige Denkanstöße!

Kurzmeinung: Endlich mal kein Sprachgeschwubel in einem politischen Buch!


In dem schmalen, nicht einmal 200 Seiten umfassenden Buch, fast ein Essay, fragt Reinhard Mohr danach, was die Deutschen für ein Selbstbild haben, beziehungsweise was sie von ihrem Land halten. Dabei stellt sich heraus, dass es schwierig bestellt ist mit solchen Sächelchen wie Heimatgefühl, Nationalstolz, Patriotismus, Nationalismus, Europaismus, eigentlich mit allem und es stellt sich ebenfalls heraus, dass die Deutschen von ihrem Land alles fordern, gefördert werden wollen, aber nichts ausreicht, um ihnen ein positives Bild von Land und Staat zu verschaffen. Geschweige denn, eine Art Identifikation zu erreichen. Trotzdem wollen sie wohl hier leben und nirgendwo anders hin.

Die Schwierigkeiten fangen schon damit an, dass man sich fragen muss, wer das eigentlich ist, der Deutsche, das deutsche Volk. Gibt es das überhaupt (noch) und gibt es einen Mehrheitswillen oder zerfällt alles (was alles?) in kleingruppierte Eigeninteressen?

Angesichts der Querdenkerschelte (zu Recht), der Pegidaschelte (zu Recht), der Coronaleugnerschelte, (zu recht), der Auflistung aller möglicher Demonstranten, Lauthals-Schreier, angesichts der berechtigten Veränderungsforderer und einfach den Berufsjammerern, bin ich fast froh darüber, dass in Frankreich und Italien zeitweise gar nichts läuft wegen derer ausgeprägter Streik- und Demonstrationskultur. Wir sind nicht allein … lalalalala. Und tragen keine gelben Jacken. Wenigstens. Gut, das machts nicht besser.

Was Deutschland im Innersten zusammenhält, kann Reinhard Mohr nicht sagen. Nudeln? Bier? Fussball? Goethe? Goethe ist out. Auch Eichendorff ist out. Nicht nur die Mehrzahl der Migranten kann mit deutscher Literatur nichts anfangen.

Also, wie gesagt, was Deutschland im Innerstenzusammenhält, kann Reinhard Mohr nicht sagen, wie auch, denn dann würde er sofort einen Preis bekommen. Vielleicht sogar Nobel? (Thea Dorn hat es wenigstens versucht in „Die deutsche Seele“. Nobel war trotzdem nicht drin, oder?).

Nichtsdestotrotz fasst der Autor Vieles von dem, was mir Kopfzerbrechen bereitet in Worte.

„Vor lauter Rassismus, Sexismus, Rechtsextremismus und Nationalismus, inmitten all der „Lügenpresse“-Rufe und „Volkstod“-Prophezeihungen erkennt manch braver Bürger sein eigenes Land nicht wieder, die gute alte Bundesrepublik.“

Es hat sich Gravierendes verändert – und es gefällt mir größtenteils nicht. Wieder wird man in eine Schublade gesteckt, sobald man ein gewisses Vokabular gebraucht, es herrschen Sprechverbote, Salon-Rassimus ist angesagt und es gibt das Bestreben Geschichte umzuschreiben.

Der Autor sagt das so:
„Historische Figuren, egal ob Politiker , Staatsmänner oder Künstler (in diesem Fall sind es tatsächlich nur männliche Wesen), sollen aus der, erst recht aus der ehrenvollen Erinnerung getilgt werden, wenn sie nicht den ethischen und politisch korrekten Maßstäben genügen, die im Jahre 2021 gelten, soweit man bestimmten universitär-akademischen LGBTQ-Reinigungskolonnen folgen mag.“ Das ist knapp vor Geschichtsverfälschung.

Weiterhin denkt der Autor über die sinkende Wahlbeteiligung nach und macht sich Sorgen um die pluralistische Demokratie. Ich mit ihm. Die Mittelklasse schmilzt. Corona hat ein bisschen geholfen, den Deutschen ihre Heimat wieder schmackhaft zu machen, me thinks. Ich liebe mein Land. Aber es ist klar, dass wir eine Menge Probleme haben. Wer am lautesten schreit, hat recht, habe ich oft das Gefühl. Und Migranten … sie können toll sein und bereichernd, aber sagen nicht bereits jetzt viele, die Integration sei gescheitert?

Fazit: „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung“ gibt mir viele Denkanstöße und ja, leider auch Anlaß zur Besorgnis, falls nicht bald wieder damit begonnen wird, von einer reinen Befindlichkeitskultur auf einen faktenunterlegten politischen Pragmatismus abzustellen.

Ich gebe eine Leseempfehlung.

Kategorie: Sachbuch. Das politische Buch.
Europaverlag, 2021



 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.168
49
Fazit: „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung“ gibt mir viele Denkanstöße und ja, leider auch Anlaß zur Besorgnis, falls nicht bald wieder damit begonnen wird, von einer reinen Befindlichkeitskultur auf einen faktenunterlegten politischen Pragmatismus abzustellen
Feine Rezension! Ich bewundere, dass du dich immer wieder auf solche politischen Bücher unterschiedlicher Richtungen einlässt. Schön, dass wir dadurch auch mitbekommen, was so geschrieben wird :p