Rezension Rezension (5/5*) zu Deutsches Haus von Annette Hess.

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
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Packend und lehrreich

Annette Hess hat sich als Drehbuchautorin einen Namen gemacht. Von ihr stammt die mit verschiedenen Preisen ausgezeichnete Fernsehserie „Weissensee“, ebenso „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“. Auch in ihrem Debütroman verpackt sie Historie in eine fesselnde Familiengeschichte. Hier geht es um deutsche Vergangenheitsbewältigung; im Zentrum des Romans steht der Auschwitz- Prozess von 1963.
Hauptfigur ist die 24jährige Eva Bruhns. Sie lebt mit ihrer Familie in Frankfurt. Die Eltern betreiben dort ein Wirtshaus, das titelgebende ( und doppeldeutige) „ Deutsche Haus“. Ihre ältere Schwester arbeitet als Krankenschwester, der jüngere Bruder geht noch zur Schule.
Der Roman beginnt mit einem Besuch von Evas zukünftigem Mann Jürgen bei den Familie. Der ist der Sohn eines reichen Versandhändlers und passt eigentlich nicht zu den eher bescheidenen Verhältnisse der Bruhns. Für Eva würde die Ehe einen sozialen Aufstieg bedeuten. Jürgen hat dafür konkrete Vorstellungen, wie seine Frau sich zu verhalten hat.
Eva ist Dolmetscherin für die polnische Sprache und wird aus diesem Grund für den beginnenden Prozess verpflichtet. Sie soll die Aussagen von überlebenden KZ- Insassen übersetzen. Die Eltern wollen nicht, dass ihre Tochter diese Arbeit annimmt und auch Jürgen hat Einwände. Doch die sonst so fügsame, junge Frau setzt sich gegen die Widerstände durch und übernimmt diese Aufgabe.
Das sollte Auswirkungen auf ihr weiteres Leben haben und auch auf das Leben ihrer Nächsten. Eva, die vorher noch nichts über Auschwitz gehört hatte, wird plötzlich mit den schrecklichsten Gräueltaten der Nazis konfrontiert. Das Schicksal der Lagerinsassen berührt sie zutiefst. Gleichzeitig fängt sie an, die Rolle ihrer Eltern damals zu hinterfragen. Sie spürt, dass die einiges verschweigen.
Annette Hess beschreibt atmosphärisch dicht die Stimmung in den frühen 1960er Jahren. Den meisten Deutschen geht es endlich wieder gut, sie wollen nichts mehr hören von damals und verdrängen alles, was mit dem Krieg und der Nazi- Zeit zusammenhängt. „70 Prozent der Deutschen wollen den Prozess nicht.“ so lautet eine Schlagzeile. Die Autorin lässt Täter, Opfer und Mitläufer zu Wort kommen. Auch die Nebenfiguren erhalten eine Gechichte. Die Charaktere sind differenziert dargestellt. So schafft sie ein präzises Abbild der damaligen deutschen Gesellschaft.
Die Hauptfigur Eva macht im Verlaufe des Romans eine beachtliche Entwicklung durch. Aus der zu Anfang naiven, eher passiven Figur wird eine selbständige, starke Frau, die ihren eigenen Weg geht. Hier gibt es überraschende Wendungen, auch die Liebesgeschichte ist keineswegs vorhersehbar und kitschig, sondern glaubhaft.
Annette Hess erzählt ihre Geschichte chronologisch in einer einfachen und klaren Sprache. Das ist nicht unbedingt große Literatur, sondern ein leicht lesbarer Roman, der trotzdem große Fragen nach Schuld und Verantwortung stellt. Das Buch ersetzt auch kein Geschichtsbuch. Dafür bietet es eine bewegende und fesselnde Geschichte, die eine Vergangenheit in Erinnerung bringt, die nicht vergessen werden sollte.