Rezension (5/5*) zu Der Totengräber und der Mord in der Krypta von Oliver Pötzsch

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8. April 2021
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der Totengräber und der Mord in der Krypta von Oliver Pötzsch
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Fesselnd und düster

Wien, 1895: Während sich der technische Fortschritt ausbreitet, ist in Wien der Aberglaube noch weitverbreitet. Spiritismus und Séancen sind beliebt und dabei wird allerlei Schwindel betrieben. Dem wollte der Naturwissenschaftler Dr. Lichtenstein entgegenwirken. Doch dann machen Touristen bei einer Führung durch die Gruft des Stephansdom einen grausigen Fund. Zwischen den alten Knochen liegt eine männliche Leiche. Das Gesicht ist verzerrt. Was hat den Mann so entsetzt? Der Tote ist Lichtenstein und ein Freund des Oberpolizeirat Stukart. Der beauftragt Inspektor Leopold von Herzfeldt die Sache zu untersuchen.
Anna, dem Mündel des Totengräbers Augustin Rothmayer, ist aufgefallen, dass aus dem Waisenhaus im 5. Bezirk in Wien immer wieder Kinder verschwinden. Ein ermordeter Junge hatte Anna noch vor dem Nachtkrapp gewarnt. Doch Leos Kollege Leinkirchner zeigt sich nicht besonders interessiert, handelt es sich doch meist um Straßen- oder Waisenkinder, die angeblich weggelaufen sind. Aber dann verschwindet ein Junge aus einer gutsituierten Familie.
Dies ist nun bereits der dritte Band um das ungewöhnlicher Ermittlerteam. Auch dieses Mal konnte mich der Autor Oliver Pötzsch wieder fesseln. Er entführt mich mit seiner Geschichte in ein Wien, das sehr atmosphärisch dargestellt ist. Dabei gibt es nicht nur die schönen Seiten der Stadt, sondern auch viel Not und Hoffnungslosigkeit.
Die Charaktere sind gut und sehr individuell beschrieben. Leopold von Herzfeldt hat in Graz Kriminalistik studiert, kommt aber mit seinen modernen Methoden nicht gut bei den Kollegen an. Auch dass er Jude ist, wird ihm angekreidet. Der Totengräber Augustin ist kauzig, aber ein kluger Kopf. Dieses Mal verfasst er ein Buch zum Thema Spuk- und Geisterscheinungen. Auch die Tatortfotografin Julia Wolf ist wieder mit von der Partie. Sie hat eine kleine Tochter, für die sie nur das Beste will. Inzwischen verbindet sie mit Leo mehr als nur das berufliche Interesse, doch das darf niemand wissen. Es gibt also alle Hände voll zu tun für unsere Ermittler. Doch dann taucht Leos Mutter auf, weil sie Zeit mit ihrem Sohn verbringen möchte, bis sie im Hotel dem Schriftsteller Arthur Conan Doyle begegnet.
Es gibt immer wieder Wendungen, welche die Spannung hochhalten. Lange habe ich im Dunkeln herumgetappt, wer wohl hinter allem steckt.
Es ist ein informativer und sehr spannender historischer Krimi, der mir wieder gut gefallen hat.



 
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lesende Hexe

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25. September 2023
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Wiener Blut, Wiener Blut…

Die Geschichten im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts von Oliver Pötzsch sind immer spannende Krimis, aber auch ein interessantes Stück Zeitgeschichte des fin de siècle. Wenn man bedenkt, im dritten Roman um den Totengräber August Rothmayer, Polizeiinspektor Leo von Herzfeldt und Tatortfotografin JuliaWolf spielt die Handlung im Jahr 1895, nur 9 Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am Ende dessen das habsburgische Reich zerschlagen und auf das Kronland reduziert, so hält man Ausschau nach etwaigen Anzeichen des großen Krieges. Aber nichts dergleichen. Wien scheint nur von Wiener oder Grazer Menschen bevölkert zu sein, keine Tschechen, Slowenen, Ruthener, Kroaten Italiener oder Ungarn sind dabei. Das ist auch ein interessanter Aspekt von Oliver Pötzsch Roman. Wien kommt sehr authentisch rüber: Die alte ehrwürdige KuK Hauptstadt mit ihren Denkmälern, Kirchen, Museen, Prachtstraßen, Prater, Cafés, Restaurants und auch Bordellen, sie sind alle da. Und vergessen wir nicht den Wiener Zentralfriedhof, der heute so groß ist, dass sogar eine Buslinie dafür eingerichtet wurde.

Die Handlung, oder besser gesagt, die beiden Handlungsstränge, sind hervorragend aufgebaut und miteinander verwoben. Zuerst denkt man, die sind getrennt voneinander, dann bekommen wir die Vermutung zugesteckt, sie führen zueinander und sind eigentlich eine einzige vielfache Mordgeschichte, nur um am Ende doch als zwei separate Kriminalfälle mit getrennten Ermittlungen, hauptsächlich von unserem bekannten und geschätzten Trio geleitet, dargestellt zu werden. Oliver Pötzsch vermag es hervorragend, die Handlungslinien zu führen, zu verknoten und wieder zu trennen.

Ich liebe Pötzschs Beschreibungen vom alten Wien. Und ich liebe das heutige, gegenwärtige Wien und habe mich richtig vertieft in den kleinen Stadtplan im Innenteil des Einbands. Ich habe die beiden großen Museen in Wien besucht, das Naturhistorische ist mir in Erinnerung geblieben mit den Fossilien- und Gesteinssammmlungen. Den “Rassensaal”, von dem Pötzsch im Nachwort schreibt, gab es nicht mehr bei meinen Besuchen. Den Stephansdom (aber ohne Krypta) habe ich besichtigt und auch Konzerte gehört. Einen Tag haben wir am Wiener Zentralfriedhof verbracht. Leider konnten wir Herrn Rothmayers Häuschen nicht entdecken. Ich glaube, ein erneuter Besuch in Wien ist fällig.