Rezension Rezension (5/5*) zu Der Sprung von Simone Lappert.

Naraya

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1. November 2019
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Verwobene Schicksale

Eigentlich liebt Manu das Leben. Sie versteht sich als "Störgärtnerin" und rettet Pflanzen aus Umgebungen, in denen diese - ihrer Meinung nach - nicht atmen und sich nicht mit anderen Pflanzen vernetzen können. Auch auf Finn, ihren Freund, macht sie einen starken, wenn auch manchmal etwas seltsamen Eindruck. Und dennoch steht Manu eines Tages auf dem Dach eines Wohnhauses, ganz nah an der Kante, schreit und tobt und am Ende, da schreitet sie einfach über den Dachrand hinaus ins Leere. Durch dieses Ereignis gerät das Leben der unterschiedlichsten Menschen in dem kleinen Städtchen Thalbach aus den Fugen.

Da sind zum Beispiel Theres und Werner, deren kleiner Kiosk schon seit geraumer Zeit kaum noch Kundschaft hat. Während Theres umso härter arbeitet, bleibt Werner völlig depressiv zurück, so dass er manchen Tagen gar nicht mehr aus dem Bett aufsteht. Als sich jedoch die Menschenmenge versammelt, um nicht zu verpassen, was mit der "Verrückten auf dem Dach" geschieht, erfährt der Laden einen ungeahnten Aufschwung. Denn Hunger und Sensationsgier, das verträgt sich nicht. Doch wo Theres und Werner von dem Spektakel profitieren, haben andere darunter zu leiden: die launische Edna beispielsweise wird durch Manu auf dem Dach an ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit erinnert, das sie völlig aus der Bahn geworfen hat. Erschüttert verbarrikadiert sie sich in ihrer Wohnung und wartet darauf, dass wieder Normalität einkehrt.

Neben diesen drei Personen gibt es noch zahlreiche mehr, die im Buch zu Wort kommen. Polizist Felix spricht mit Manu auf dem Dach, Schülerin Winnie sitzt unten in der Menge. Der Obdachlose Henry lebt in der Nähe des Gebäudes in einem Park, Maren jedoch im Haus selbst. Arbeiter Egon beobachtet das Geschehen vom Café gegenüber und der geheimnisvolle Ernesto verfolgt das Ganze im Fernsehen. Aber auch Vertraute von Manu kommen zu Wort, ihr Freund Finn und ihre Halbschwester Astrid liefern jeweils Puzzleteile, um das Rätsel um Manu zu lösen. Finn liefert die Gegenwart, erzählt, was er an Manu liebt und glaubt, sie zu kennen, obwohl er nicht einmal ihren Nachnamen weiß. Astrid hingegen präsentiert uns Manus Kindheit; eines Mädchens, das ihre Schwester immer beschützt hat; eine, die nie vor etwas Angst hatte.

Mit "Der Sprung" ist Simone Lappert ein grandioser Roman gelungen. In kraftvollen Worten beschreibt sie, wie sich das Leben in der Kleinstadt durch Manu und den Sprung vom Dach verändert. Es wird durcheinandergewirbelt und neu zusammengesetzt, ob die Betroffenen es wollen oder nicht. Dabei entstehen sowohl positive als auch negative Konsequenzen, doch das Wichtigste ist: es verändert sich etwas; in den Köpfen der Menschen, aber auch in ihren Herzen. "Der Sprung" befasst sich nicht nur mit Manu und dem Grund, warum sie sich auf diesem Dach befindet. Nein, der Roman geht viel weiter darüber hinaus. Er spricht von Liebe und Hoffnung, von Verzweiflung und Schuld, von Einsamkeit und Gemeinschaft. Ein wunderbarer Roman, dessen Figuren noch lange nach dem Ende in einem nachklingen.

 

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