Julian Barnes lässt uns teilhaben am Leben von Dr. Samuel Pozzi (1846–1918), dem damals bekannten Arzt, Pionier auf dem Gebiet der Gynäkologie und Freigeist, ein intellektueller Wissenschaftler, der seiner Zeit weit voraus war: So führte er Hygienevorschriften vor Operationen in Frankreich ein und übersetzte Darwin ins Französische. Julian Barnes zeichnet das Bild einer ganzen Epoche am Beispiel dieses charismatischen Mannes. Man kann Julian Barnes nur bewundern: Kenntnisreich, elegant und akribisch recherchiert, beschreibt er das privat turbulente Leben Dr. Pozzis und erzählt Kulturgeschichten über den Fin de Siècle und seine Protagonistinnen und Protagonisten: Maler, Politiker, Künstler, Schauspieler, Schriftsteller. Dr. Pozzi reiste, um Erkenntnisse zu gewinnen, und stand für einen engen Austausch zwischen England und dem Kontinent. Julian Barnes beleuchtet diese fruchtbaren Beziehungen und schreibt zugleich ein spannendes Plädoyer, an der Idee Europas festzuhalten.Kaufen
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"Der Mann im roten Rock" ist ein Gemälde von John Singer Sargent aus dem Jahr 1881 und zeigt Dr. Samuel Jean Pozzi. Der Klappentext, und auch der Titel, lassen vermuten, dass es sich um die Biografie von Dr. Pozzi handelt. Tatsächlich lebte dieser ein sehr bewegtes Leben. Er war seinerzeit ein berühmter Arzt, Vorreiter auf dem Gebiet der Gynäkologie und ärztlichen Hygiene, vielfältig interessiert, weit gereist und verkehrte in den besten Kreisen. Dies alles hätte genug Stoff für eine Biografie (oder zwei) hergegeben.
Das titelgebende Gemälde und die Person Dr. Pozzis nutzt Julian Barnes jedoch nur als Aufhänger für eine Reise ans Ende des 19. Jahrhunderts. Spinnennetzartig erzählt er gefühlte tausend Geschichten unzähliger historischer Persönlichkeiten, die teils nur lose oder gar nichts mit Dr. Pozzi zu tun haben. Anhand von Anekdoten und Anekdötchen sowie unzähligen, sicherlich profund recherchierten Informationen mäandert Julian Barnes durch die Zeit und lässt die sog. Belle Époque wiederauferstehen.
Das alles ist zweifelsohne interessant zu lesen. Dem Buch ist zudem anzumerken, dass Julian Barnes die Recherche für das Buch und die Niederschrift unendlich viel Freude gemacht haben. Sein Stil ist makellos und eloquent. Allein schon deshalb lohnt es sich, das Buch zu lesen. Als kleiner Kritikpunkt verbleibt allerdings, dass er weniger an seine Leser gedacht hat. Ein stärker ausgeprägter roten Faden oder Rahmen hätten es mir erleichtert, die vielen Einzelinformationen zu verorten und einprägsam nachzuvollziehen. Meine Kapazitäten hat Julian Barnes jedenfalls ziemlich ausgereizt. Daher vergebe ich vier Sterne.
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