Rezension Rezension (5/5*) zu Der letzte Prinz von Steven Price.

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.624
21.905
49
Brandenburg
Buchinformationen und Rezensionen zu Der letzte Prinz von Price, Steven
Kaufen >
Ein Kunstwerk in sich selber


Kurzmeinung: Ein Kunstwerk. Ein junger Autor - relativ gesehen - läßt die alte Weise des Erzählens noch einmal aufleuchten.



In dem Roman „Der letzte Prinz“ geht der Autor dem Leben des Fürsten Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896 bis 1957), Herzog von Palma, nach. Dieser Herr ist der letzte männliche Spross eines alten sizilianischen Adelsgeschlechts. Er ist etwas in die Jahre gekommen, lebt mit seiner Frau in einem Palast in Palermo und ist unheilbar krank.

Tomasi, unser Held, hat vieles durchlebt, was seine Lebensdaten bereits andeuten. Dennoch ist er von Haus aus ein passiver Mensch und rückwärtsgewandt. Ein Mensch, wie Price zeigt, der mit den vielen Umbrüchen, die im 20. Jahrhundert stattfinden nicht so richtig umgehen kann. Oder will.

Da er keine Kinder hat, beschließt er, die alten Zeiten wenigstens in einem Roman zu bewahren. Und so fängt er in seinen ihm verbleibenden Jahren an, zu schreiben. Zu seiner Lebenszeit durfte er leider nicht die Lorbeeren dafür einstreichen, die dem Roman später beschieden waren. Il Gattopardo (Der Leopard) wurde Bestseller und Longseller und wurde außerdem verfilmt. Aber zunächst einmal lehnten die Verlage, bei denen Tomasi seinen Roman einreichte, ab. Der Roman hätte eine riskante politische Brisanz und würde den auf die Moderne ausgerichteten Leser sowie so nicht interessieren. Eine krasse Fehleinschätzung, wie sich herausstellte.



Eine g u t e fiktive, literarische Biografie zu schreiben, ist nicht leicht und ich habe dieses Unterfangen schon öfters scheitern gesehen/gelesen. Entweder wird zu viel hinzuerfunden oder die Figuren werden zu süßlich. Oder die Autoren haschen nach billigen Effekten.

Price hingegen macht seine Sache außerordentlich gut. Man sieht durch die Augen Tomasis. Man fühlt mit ihm, ob man ihn mag oder nicht. So oder ähnlich könnte es gewesen sein. Man nimmt dem Schriftsteller die Story ab.

Bestimmt kommt der Roman „Der letzte Prinz“, der für den kanadischen Giller-Prize nominiert wurde, dort am besten an, wo man das zugrundeliegende Werk „Il Gattopardo“ bereits kennt. Denn Steven Price hat viele Parallelen dazu in seinem Buch geschaffen. Aber auch wenn man diesen Roman nicht kennt, wird man bestens unterhalten. Allerdings muss man sich auf die handlungsarme Erzählweise einlassen, sich mit ihr slowly vorantreiben lassen ...



Ich bin von diesem Roman sehr, sehr angetan. Price hat mir vor Augen gemalt, an welchen Bildern der ältere, sizilianische Herr hängt, was er nicht loslassen kann. Äußerlich tut er nichts, aber auch gar nichts, was zur Konservierung beitragen könnte. Er bückt sich nicht einmal nach alten persönlichen Schriftstücken, die im Freien vergammeln werden, er läßt das materielle Vergehen von Dingen ebenso zu wie er seinem langsamen Sterben nichts entgegensetzt. Was Tomasi konserviert, sind seine Erinnerungen.

Price illustriert Sizilien durch die Augen seines Protagonisten. Durch seine Seele sogar. Er malt ein Mutter-Sohn-Gemälde, das keineswegs sympathisch ist. Der Einfluß der Mutter verhindert, dass Tomasi ein eigenständiges Leben führt. Allerdings gehören dazu immer zwei. Ich sehe, wie Tomasi die Zeit seiner Kindheit heraufbeschwört, die für immer vergangen ist. Aber Spuren davon liegen noch in der Luft. Nie werden die Menschen aufhören, den Adel zu hofieren und ihm einen roten Teppich auszulegen, egal, was er ihnen in früheren Zeiten angetan hat. Egal, wie er sie ausgeraubt hat.

Dann wieder ist Tomasi zurück in der Gegenwart. Emotionslos und illusionsfrei benickt er die Entführung und Folterung eines Bekannten durch die Mafiosi. Jaja, so ist es halt. So war es und so ist es und so wird es immer bleiben. Man kann nichts tun. Tomasi tut nichts. Er durchleidet. Und in diesem Durchleiden findet er Erfüllung.

Der Autor hat die Sprache, der er benutzt, an sein altertümliches Sujet angepasst. Das ist die alte Art des Erzählens, des Herumschlenderns und Schauens, des Fühlens und Schmeckens, einfach um seiner selbst willen. Das muss man mögen. Oder man kann mit diesem Roman nichts anfangen. Die Erzählung „Der letzte Prinz“ vermittelt ein Lebensgefühl.

Der Geist des angeschlagenen Fürsten trudelt, mal sind wir in der Vergangenheit, dann wieder in der für ihn tristeren Gegenwart, so allmählich erschließt sich durch die mäandernden Erinnerungen Tomasis dessen Familiengeschichte, tauchen die starken Frauen in der Familie auf, die fast allesamt ein unrühmliches Ende fanden. Es wird ersichtlich, wie wichtig die Familienbande sind, aber auch, wie einseitig ein solcher, verarmter, Fürst lebt. Man gibt Geld aus, ob man es hat oder nicht. Noblesse oblige!

Einseitig, stur bis zum Verbocktsein kann man sein. Unpraktisch, weil sich nicht den Problemen des Alltags stellend. Den Kopf in den Wolken und der Vergangenheit verpflichtet. Resignativ, aber mit Contenance. Man kann untergehen, aber mit Würde.



Price kann so wunderbar erzählen, dass man glaubt, so könnte es vielleicht wirklich gewesen sein. Man nimmt ihm sogar ab, dass Tomasi ein wunderbarer Erzähler gewesen ist. Und bei so manchem Leser wird die Lust geweckt, das Original „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa selber zu lesen, sofern er es nicht sowie so schon kennt.

Fazit. „Der letzte Prinz“, ein Roman über die Entstehung eines Kunstwerks, ist ein Kunstwerk in sich selber.

Kategorie: Belletristik. Anspruchsvoller Roman.
Diogenes, 2020
Mein Lesehighligt 2020




 
Zuletzt bearbeitet:

Federfee

Bekanntes Mitglied
13. Januar 2023
2.129
8.842
49
Ich lese gerade den 'Leoparden' zum zweitenmal und bin weiterhin sehr angetan. @Literaturhexle gab mir den Tipp zu diesem Buch. Ich mag romanhafte Biografien (Toibins 'Zauberer'), auch wenn sie mit Vorsicht zu genießen sind. Diese hier hat ja sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen, im Feuilleton, aber auch in eurer LR (wo ich leider noch nicht dabei war). Da freut es mich, so eine positive Rezension wie deine zu lesen. Das Buch habe ich mir gleich bestellt...
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle