Anfang der Sechziger in einem entlegenen Teil Deutschlands. Das Ehepaar Roleder zieht auf eine unbewohnte Insel inmitten eines großen Sees. Es ist eine Flucht nach innen, vor der Stadt und der Wirklichkeit. Mit dabei ist ihr Sohn Hans, der auf der Insel ein neues Zuhause findet. Und noch so viel mehr. Denn mit der Zeit scheint der schüchterne Junge geradezu mit der Insel, den Bäumen, dem Laub, dem Moos und dem Gestein zu verwachsen. Hans wird zum König der Insel. Bis, mit dem Bescheid der Schulbehörde, die Realität in seine kleine große Traumwelt einbricht und ihn von Insel und Eltern trennt. Es ist der Beginn einer beschwerlichen Odyssee, gelenkt zunächst von gnadenlosen Institutionen des Staates und schließlich dem einen großen, pochenden Wunsch: zurückzukehren auf seine Insel, in die ersehnte Einsamkeit im Schatten der Welt. Doch: Wie wird die Insel, wie werden die Eltern ihn empfangen?Kaufen
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„Wer angekommen ist, hat weit zu gehen.“ (Tomas Tranströmer, aus: Aus einem afrikanischen Tagebuch, 1963 in: Sämtliche Gedichte)
Wenn ein Buch mit einem Donner-Satz wie „Es war so kalt, dass selbst der Wind fror.“ (S. 7) beginnt, hat der geneigte Leser nicht nur eine Gänsehaut vom Lesen, sondern womöglich auch DAS Debüt des Jahres vor sich. Vorausgesetzt, man lässt sich auf den folgenden gut 170 Seiten auf den lyrisch-reduzierten Schreibstil von Dirk Gieselmann ein, der mit „Der Inselmann“ (2023, Kiepenheuer & Witsch) ein famoses Erstlingswerk veröffentlicht hat.
Wie passt nun die Beschreibung des 1. Satzes zu der Überschrift dieser Rezension? Nun, auch in der Stille ist bzw. kann es laut sein – vorausgesetzt, man spitzt die Ohren und nimmt (ungewohnte) Geräusche, Klänge etc. wahr und lässt diese an sich heran.
Hans Roleder zieht in den 1960er Jahren mit seinen Eltern auf eine einsame Insel – genau verorten lässt sich der Ort der Handlung nicht, aber dass es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR spielt, lässt sich durch Kleinigkeiten im Text erahnen.
Von Anfang an liegt eine Atmosphäre des Frostes über dem Text (s. erster Satz). Diese Kälte zieht sich dann auch wie ein roter Faden bis zum Ende, denn was die Leserinnen und Leser über Hans, seine Eltern, das (Zusammen-)Leben auf der Insel, den Umgang untereinander erfahren, lässt einem immer wieder eisigen Schauer über den Rücken laufen.
Und trotzdem: durch die einfühlsam reduzierte Sprache, die dadurch etwas Lyrisches bekommt (der Einfluss Tomas Tranströmers auf Herrn Gieselmann scheint nach meinem Eindruck sehr groß zu sein – ich meine das als Kompliment!), wird die (Lese-)Temperatur wieder erhöht, Ruhe kehrt ein und als Leser:in kann man sich fallen lassen in die Geschichte um den „Inselmann“, die für mich jetzt schon zu DEN Debüts und Büchern des Jahres 2023 gehört!
Wohlverdiente 10 von 5* Sternen und eine glasklare Leseempfehlung!
©kingofmusic
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