Rezension Rezension (5/5*) zu Der große Sommer: Roman von Ewald Arenz.

Literaturhexle

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Teammitglied
2. April 2017
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Viel mehr als nur ein Sommerroman


Der erwachsene Ich-Erzähler Friedrich (Frieder) blickt auf den Sommer im Jahr 1981 zurück. „Immer wieder denke ich an den Sommer, aus dem für mich alles hervorgegangen ist: Mein Leben, wie es heute ist. (…) Mir bleibt nur dieser eine Sommer, zu dem ich immer wieder zurückkehre.“ (S. 40) Während seiner Reflexionen streift der Erzähler in der Gegenwart über den heimatlichen Friedhof. Er sucht ein bestimmtes Grab – eine Ausgangssituation, die dem Roman sofort Tiefe verleiht, die spüren lässt, dass es um weit mehr geht als nur um eine pubertäre Liebesgeschichte. Es geht vielmehr um die Momente im Leben, die den Menschen dauerhaft prägen.

In jenem Jahr hat Frieder die glatte Versetzung in die zehnte Klasse verpasst. Er muss sich während der Ferien auf Nachprüfungen in Latein und Mathe vorbereiten, um noch eine Chance zu haben. Daher darf er nicht mit seiner Familie in den ersehnten Strandurlaub fahren, sondern wird beim Großvater, einem strengen, distinguierten Herrn, der als Professor dem Bakteriologischen Institut im Städtchen vorsteht, einquartiert. Frieder hat großen Respekt vor dem Mann seiner Oma Nana, die er wiederum von Herzen gern hat. Frieder sieht harte Wochen auf sich zukommen, obwohl auch seine Schwester Alma wegen eines Praktikums zu Hause bleiben muss und sein Freund Johann nur eine einzige Ferienwoche in Italien verbringen wird.

Die Sommerferien verlaufen jedoch ganz anders, als es sich Frieder vorgestellt hat: Das regelmäßige Lernen am Vormittag geht leichter von der Hand als gedacht. Im Schwimmbad lernt er Beate kennen, die ihm in ihrem flaschengrünen Badeanzug den Kopf verdreht. Er entdeckt Seiten an seinen Großeltern, die er vorher nicht kannte und die zu Turbulenzen führen. Johann kommt indessen frühzeitig aus dem Urlaub zurück, was kein gutes Zeichen ist und die Freundschaft auf eine harte Probe stellen wird…
Die Freunde erleben unglaublich intensive Sommerferien, die geprägt sind von jugendlicher Unternehmungs- und Abenteuerlust, die den Leser an atmosphärische Handlungsorte wie ein Schwimmbad im Regen, einen verwaisten Steinbruch, eine halb verfallene Brauerei oder auf die Mauern eines Kastellgartens führen.

Frieder ist ein naturverbundener Nasenmensch. In seinen Erinnerungen haben sich Düfte und Gerüche mit Orten und Erlebten verbunden und abgespeichert, was sich in intensiven Sinnesbeschreibungen ausdrückt: „Never ever würde ich diesen Duft vergessen. Das wusste ich sofort und für immer. Sie roch so klar wie jemand, der im Winter aus der Kälte kommt. Und etwas Süßes war da auch, aber nur entfernt und ein Hauch wie…ja, wie die Robinienblüten im Frühsommer vor meinem Fenster. Nichts Schweres. Schwebend. Wie ein Ton nachklingt… aus einem wunderschönen Moment in der Kindheit, den man vergessen hat; von dem nur noch die Erinnerung an einen Duft geblieben ist.“ (S. 116) Darüber hinaus wird die Umwelt sehr bildhaft beschrieben, das Spiel von Licht und Schatten, die Blätter an den Bäumen, die Vögel am Himmel – all das unterstreicht Stimmungen und befeuert die Vorstellungskraft des Lesers. Man wird sehr glaubwürdig in die Lebenswirklichkeit eines 16-Jährigen hineinversetzt, der sich im ständigen Spannungsverhältnis zwischen Kindheit und Erwachsensein befindet, der cool sein will und doch manchmal Hilfe benötigt.

Der Plot überzeugt, die Erlebnisse wirken realistisch, unerwartete Wendungen und spritzige, authentische Dialoge machen den Roman zum Lesegenuss. Nicht alles läuft glatt, es gibt Konflikte und Konsequenzen. Sämtliche Figuren sind mehrdimensional angelegt. Charaktereigenschaften werden schlüssig dargestellt und wo nötig hergeleitet. Die Balance zwischen unbeschwertem Sommerroman und Lektüre mit Tiefgang ist meisterlich gelungen. Der Schreibstil ist flüssig, passt wunderbar in die erzählte Zeit, ohne sich einer übertriebenen Jugendsprache anzudienen. Es gibt dramatische, humorvolle, nachdenklich stimmende, traurige und romantische Szenen. Ewald Arenz beherrscht die Vielseitigkeit.

„Ein großer Sommer“ ist ein All-Age-Buch bester Art, das sich gekonnt zwischen Leichtigkeit und zarter Melancholie bewegt. Hervorzuheben ist die wunderschöne Ausstattung mit eingeprägtem Coverbild und flaschengrünem Lesebändchen. Hier stimmt einfach alles. Große Leseempfehlung!



 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.406
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Deine Rezension bestätigt mich in meinem Kaufwunsch. Da uns beiden sein voriger Roman „ Alte Sorten“ sehr gut gefallen hat, wollte ich erstmal Deine Meinung hier abwarten. Danke für die aussagekräftige Rezension.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
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Deine Rezension bestätigt mich in meinem Kaufwunsch. Da uns beiden sein voriger Roman „ Alte Sorten“ sehr gut gefallen hat, wollte ich erstmal Deine Meinung hier abwarten. Danke für die aussagekräftige Rezension.
Du wirst das Buch lieben! Ich habe ja in letzter Zeit einige männliche Entwicklungsromane gelesen. Dieses ist mit Abstand der allerbeste!