Rezension (5/5*) zu Der Gesang der Flusskrebse von Delia Owens

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Gelöschtes Mitglied 6416

Gast
Wild, schön und voller großer Gefühle

Inhaltliche Zusammenfassung
Kya Clark lebt seit ihrer Kindheit in äußerst ärmlichen Verhältnissen allein im Marschland, in der Nähe des Küstenstädtchens Barkley Cove, North Carolina. Von ihrer Familie nach und nach im Stich gelassen, lernt Kya in der Wildnis zu überleben. Sie hat zwar Sehnsucht nach sozialen Kontakten, möchte irgendwie dazugehören, spürt zugleich aber, dass nur die Einsamkeit der Natur ihrem ureigensten Wesen entspricht.
Dennoch sehnt sich Kya nach Liebe und einer Familie, wird aber auch in Liebesangelegenheiten immer wieder enttäuscht, und gerät schließlich unter einen schrecklichen Verdacht.

Mich hat die Geschichte sofort so in ihren Bann gezogen wie schon lange kein Roman mehr vorher. Die Beschreibung der primitiven Lebensumstände der Bewohner des Marschlandes ist äußerst gut getroffen, ebenso wie die zauberhafte Darstellung der Tier- und Pflanzenwelt in ihrer ganzen Schönheit und Wildheit.
Kya war mir von Anfang an total sympathisch. Wie sie ihr Leben meistert, ist wirklich bewundernswert. Von allen Familienmitgliedern nach und nach verlassen, entzieht sie sich jedem sozialen Leben und kann auch den Schulbehörden erfolgreich entwischen. Dennoch erlernt sie mit Hilfe eines älteren Fischerjungen das Lesen und entwickelt eine ungeheure Begabung in der Beobachtung des sie umgebenden Lebensraumes. Sie sammelt Muscheln, Pilze und Gräser, die Federn von Vögeln und versteht jede Einzelheit detailgetreu zu zeichnen und zu malen. Wild, jung, schön und stark, zugleich aber auch empfindsam und verletzlich stelle ich sie mir vor, wie sie in ihrem Boot dahinbraust, und unter den Bewohnern des nahegelegenen Küstenstädtchens Barkley Cove sowohl Misstrauen als auch Begehrlichkeiten weckt.
Die Einsamkeit, die Kya umgibt, an der sie leidet und die sie dennoch liebt, weil kein anderes Lebensmodell für sie vorstellbar ist, versteht die Autorin in wundervollen Sätzen mit großer emotionaler Tiefe einzufangen.
Trotz ihrer Zurückgezogenheit bestimmen zwei junge Männer Kyas Schicksal, und auch in den Fragen der Liebe nimmt sie sich die Natur zum Vorbild. Gottesanbeterinnen fressen ihre Männchen noch während der Paarung und auch Leuchtkäferweibchen senden gezielt falsche Signale aus, um Männchen anzulocken und aufzufressen.
Die parallel zur eigentlichen Handlung verlaufende Geschichte eines Mordes fügt sich vortrefflich in die Geschehnisse ein und hält den Spannungsbogen durchgehend auf hohem Niveau. Der Hörer wird zwar bald erahnen, wie die Ereignisse zusammenhängen, dennoch sind die vorkommenden Wendungen nicht vorhersehbar und der Schluss überraschend (gut). Die Führung des Gerichtsprozesses, in dem nur allzu deutlich wird, wie sehr Gewissheiten trügen und Erinnerungen täuschen können, fand ich ebenfalls sehr interessant beschrieben.
Die Sprecherin Luise Helm liest mit sehr viel Empathie und Engagement. Ihre unaufgeregte Stimme passt vor allem zu den gefühlvollen Naturbeschreibungen sehr gut. An Hörbüchern mag ich auch sehr gerne, dass man Liedtexte nicht vorgelesen, sondern vorgesungen bekommt, in diesem Fall "Michael row the boat ashore." Als Sängerin hat Luise Helm ihre Sache ebenfalls sehr gut gemacht.
Ein großartiger Roman, für mich in allen Punkten völlig stimmig, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Eine feine Rezension, liebe Dominika! vor allem gefällt mir, dass du nicht in die Spoiler-Falle gestapft bist;)