Rezension (5/5*) zu Der eiserne Herzog: Historischer Roman von Ulf Schiewe

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der eiserne Herzog: Historischer Roman von Ulf Schiewe
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Die Schlacht von Hastings...

Die Krone Englands - und zwei Männer, die um sie kämpfen. Nur dank der Hilfe einiger weniger Getreuer konnte Guilhem als Kind die Verfolgung durch seine Widersacher überleben. Doch er hat sich durchgekämpft und als Herzog der Normandie behauptet. Als es ihm gelingt, den letzten Widerstand zu brechen, und sein Werben um die schöne Matilda erfolgreich ist, scheint er am Ziel all seiner Träume zu sein. Erst recht, als sein Onkel, König Eadweard von England, ihn überraschend zum Thronerben erklärt. Englands Krone - wer würde das ablehnen? Matilda aber hat größte Bedenken, denn Guilhem hat einen mächtigen Gegner: Harold Godwinson, dessen Familie ebenfalls Anspruch auf den Thron erhebt... (Klappentext)

Ich und historische Romane? Eher nicht. Einige wenige Autoren haben dieses harsche No-Go ein wenig aufweichen lassen - und dazu gehört unbedingt auch Ulf Schiewe. Dieser Roman hat mich tatsächlich wieder sehr überzeugen können.

Erzählt wird hier die Vorgeschichte der berühmten Schlacht von Hastings (14. Oktober 1066), die auch den Schlusspunkt des Romans setzt. Die beiden Kontrahenden - der Herzog der Normandie Guilhem (William the Conquerer) und der Angelsachse Earl Harold Godwinson - werden zunächst gekonnt in Szene gesetzt, wobei die damaligen politischen Verhältnisse der Normandie sowie in England ebenfalls deutlich werden. Das Ansinnen des überaus gläubigen Königs Eadweard (Eduard der Bekenner), nicht nur bedeutsame politische Stellen Englands mit Normannen zu besetzen, sondern auch Herzog Guilhem zu seinem Nachfolger zu erklären, provozierte den Widerstand des angelsächsischen Adels, allen voran den des einflussreichen Godwin von Wessex. Nach dem Tod des Königs wurde Harold Godwinson auf Drängen des Adels zum Thronfolger bestimmt, was Herzog Guilhem nicht auf sich sitzen lassen wollte. Er beanspruchte den Thron für sich - und so kam es schließlich zur entscheidenden Schlacht von Hastings. Wie die ausging, läst sich am Titel "the Conquerer" schon erahnen...

Was hier jetzt reichlich langweilig klingen mag, verpackt Ulf Schiewe jedoch in einen spannend zu lesenden Roman. Er baut die beiden Hauptcharaktere behutsam auf und zeichnet sie dabei auch durchaus ambivalent und damit menschlich.

Der Normanne Herzog Guilhem ist ein offenbar durchaus charismatischer Mann, der durch sein Auftreten seine spätere Frau Matilda von seinen redlichen Absichten sowie von seinen Gefühlen überzeugen kann, der auch zahlreiche Freunde und Anhänger hat, die bedingungslos zu ihm stehen, und der das Talent besitzt, andere von seinen Plänen und Ideen zu überzeugen. Und zumindest hier im Roman ist er auch ein treuer Mann, der keine andere Frau mehr anschaut als Matilda. Aber er hat eben auch eine andere Seite, geprägt durch seine Kindheit und Jugend, in der er immer wieder fliehen musste, weil ihm von Seiten einiger Rebellen der Tod drohte. Er neigt in entscheidenden Situationen zu unnachgiebiger Härte und zu Grausamkeiten, um Widerstände zu brechen und seine Feinde zu besiegen.

Der angelsächsische Earl Harold Godwinson wirkt hier im Roman im Grunde eher besonnen. Im Vergleich zu seinem Vater und einigen seiner machtbesessenen und unbesonnenen Brüder strebt er nicht unbedingt nach Höherem. Er akzeptiert den König und dessen Entscheidung, Herzog Guilhem zu seinem Nachfolger zu machen, zumal er - wenn auch gezwungenermaßen - eben jenem Guilhem einen Treueeid schwört. Aber am Sterbebett des Königs lässt sich Harold schließlich doch von einigen Einflüsterern überreden, sich selbst auf den Thron heben zu lassen und damit seinen Schwur zu brechen. Von da an handelt er ebenso unnachgiebig und entschlossen wie sein Kontrahent aus der Normandie. Auch Harold hat eine Frau, die er sehr liebt, doch muss er aus politischen Gründen noch eine zweite Ehe eingehen - ein probates Mittel jener Zeit, das mir jedoch sauer aufstieß, ebenso wie Harolds erster Frau.

Überhaupt: die Frauen. Im Grunde hätte keine Notwendigkeit bestanden, die Frauenfiguren hier im Roman so akzentuiert auszubauen und ihnen eine doch nicht unerhebliche Rolle zukommen zu lassen. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen definitiv Harold Godwinson und Herzog Guilhem. Aber bekanntermaßen steht hinter jedem starken Mann eine starke Frau, und durch die Darstellung der Sichtweise der Ehefrauen Matilda und Ealdgyth gerät das Bild der Hauptcharaktere auch vielschichtiger. Gerade Matilda scheint auch im historischen Vorbild eine starke und kluge Frau gewesen zu sein - immerhin hat Guilhem ihr während seiner Abwesenheit die Herrschaft über die Normandie anvertraut. Aber auch die Mutter des Königs Eadweard war offenbar eine beeindruckende und dazu machtbesessene Frau - der Einfall, Herzog Guilhem als Nachfolger des Königs zu benennen, kam von ihr. Mir persönlich gefiel es sehr, dass Ulf Schiewe hier auch die Frauen in den Fokus gerückt hat, da dies auch noch einmal andere Aspekte beleuchtete und so z.B. die Gier nach Macht - meist von Seiten der Männer - hinterfragt werden konnte. Auch Faktoren wie Menschlichkeit und Emotionalität erhielten so einen Platz im Roman, gerade auch gegen Ende. Alles andere wäre mir auch zu einseitig betont martialisch gewesen.

Trotz der Vielzahl an Charakteren hatte ich bei diesem Roman zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, nicht mehr durchzublicken. Die historischen Fragmente zu einigen der genannten Ereignisse, die ich womöglich irgendwann einmal gehört oder gelesen hatte, werden hier zu einem spannenden Ganzen zusammengewebt und ergeben im Gesamtkontext ein Bild, das ich nun besser einordnen kann. Learning bei reading sozusagen - und Ulf Schiewe gelingt die Balance zwischen historisch verbrieften Details und spannender Fiktion scheinbar mühelos. Dazu befleißigt er sich eines überaus bildhaften Schreibstils und bindet beispielsweise auch Beschreibungen von Gerüchen und Geräuschen ein, um eine Szene wirklich greifbar und vorstellbar zu gestalten. Das gefiel mir wieder sehr gut. Besonders beeindrucken konnte mich die Schilderung eines Schiffbruchs - das war derart intensiv, dass beim Lesen nahezu der Eindruck entstand, selbst dabei zu sein. Auch die Schlachtszene am Ende war sehr eindrucksvoll geschildert, was meinen persönlichen Geschmack allerdings weniger trifft.

Eigentlich erstaunlich, dass eine einzige Schlacht über die Zukunft Englands entscheiden konnte. Aber im Vergleich zur heutigen Zeit standen die Verursacher des Krieges im Zentrum der Schlacht und schonten sich ebenso wenig wie ihre Untergebenen...

Die Aufmachung des Buches (eine Karte, eine Liste von alten Ortsnamen, ein Personenverzeichnis sowie die abschließenden Anmerkungen des Autors) bereichert das Leseerlebnis noch und lässt für mich keine Fragen mehr offen.

Von mir kann es hier nur eine klare Leseempfehlung geben!


© Parden