Rezension (5/5*) zu Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O.: Roman von Neal Stephenson

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.674
9.513
49
Wenn ich DEPP, DERASCH und RUELPS sage,...

..., dann leide ich nicht am Tourette Syndrom, sondern habe

Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O. von Neal Stephenson und Nicole Galland

gelesen und ein breites Grinsen ist in meinem Gesicht zu sehen. Diese despektierlichen Worte sind Abkürzungen im Regelwerk der Organisation des D.O.D.O., einer dem Militär unterstellten Abteilung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Magie wieder in die Welt zurückzubringen.
Tristan Lyons arbeitet für den amerikanischen Auslandsgeheimdienst und heuert die begabte Linguistin Melisande Stokes an, um altsprachliche Dokumente über Zauberei und Hexenwerk zu sichten und zu übersetzen.

Melisande Stokes erzählt diese Geschichte, vielmehr schreibt sie sie für die Nachwelt auf, denn sie sitzt fest. Sie sitzt im Jahr 1851 in einem bürgerlichen Haus in Kensington, London. Sie muss sich beeilen, denn in wenigen Tagen wird es eine Sonnenfinsternis geben. Die Welt hat soeben die Daguerreotypie erfunden und das Foto dieses Ereignisses wird der Magie den entgültigen Todesstoß verpassen und Melisande würde den Rest ihres Lebens in diesem Zeitalter verbringen müssen.

Das D.O.D.O (Department of Diachronic Operations) hat es also geschafft. Sie haben herausgefunden warum die Zauberei verschwand, haben mit Hilfe der Physik und ein paar letzten Hexen einen Weg gefunden, der schwarzen Kunst auf die Sprünge zu helfen. Die Technik und natürlich die aufgeblasene Verwaltung des mittlerweile enorm gewachsenen Unternehmens verschlingen Unsummen und so werden ein paar Zeitreisen genutzt, um aus bekannten historischen Verläufen Kapital zu schlagen. Alles sieht sehr vielversprechend aus, wenn es da nicht ein paar Menschen gäbe, die ihre ganz eigenen Ziele verfolgen und das Militär hat schon von jeher immer seinen eigenen Fokus gehabt.

Es ist die sehr selbstbewusste Hexe Grainne, schon im hochmittelalterlichen England als Spionin tätig, die mit einem bewusstseinveränderenden Bann den Leiter des Geheimdienstes (der übrigens im entzückenden Trapezoid - sehr bekanntes Gebäude in Arlington, USA - arbeitet)um den Verstand und das ganzen Unternehmen an den Rand des Abgrunds bringt.

Dieser Roman hat alles, was sich mein Leseherz sich sosehr gewünscht, sich aber niemals in einem Buch vereinigt hätte vorstellen können: eine Linguistin, Quantenphysik (und Schrödingers Katze), Hexen, die Fugger, Istanbul (da noch Konstantinopel) und ordentliches Bashing von doofen Vorgesetzten, Power Point und sinnloser Verwaltungsakte (ich sage nur ISO 9000). Hört sich wild an, ist aber durch eine sorgfältige Gestaltung des Textes im Buch sehr gut zu verdauen. Protokolle, Briefe, Chatverläufe lassen sich auf den ersten Blick unterscheiden, die über 800 Seiten fliegen nur so dahin und so war das Glossar ein Rettungsanker, den ich aber nicht gebraucht habe.

Als dann das Trapezoid enttarnt wurde, ich das für ein Lektoratsfehler hielt, die amerikanischen Streitmächte sich zur Krim äußerten, flackerte in mir kurz das Gefühl auf, dass sich hinter der Phantasie doch eine ansehnliche Portion Zaunpfahl im Winkmodus versteckt!

Galland und Stephenson haben hier mit einer ordentlichen Ration Humor, viel Sprachwitz und einer brillant durchdachten Geschichte das Netz so fein gesponnen, dass die Fiktion dahinter niemals kommt an das Licht der Sonnen.

 
  • Hilfreiche Rezension
Reaktionen: Irisblatt und GAIA