Rezension Rezension (5/5*) zu Der Attentäter: Historischer Thriller von Ulf Schiewe.

Renie

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19. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der Attentäter: Historischer Thriller von Ulf Schiewe
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ein historischer Tatsachenroman

Das Attentat am 28. Juni 1914 auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger und seine Frau in Sarajevo war der Auslöser für den 1. Weltkrieg. Wie es dazu gekommen ist und insbesondere, was in der Woche zuvor passiert ist, schildert der historische Thriller "Der Attentäter" von Ulf Schiewe.

Der Autor, der schon einige historische Romane geschrieben hat, ist für seine akribische Recherchearbeit bekannt. Daher haben seine Bücher einen besonderen historischen Wert, sind sie doch so dicht wie es nur irgendwie geht an der Realität dran.
Auch in "Der Attentäter" findet sich wenig Fiktion, dafür umso mehr Tatsachen, die aber dennoch zu einem extrem spannenden Roman verknüpft sind.

Die weltpolitische Situation der Zeit vor dem 1. Weltkrieg legte nahe, dass die Machthaber auf ein kriegerisches Gerangel um die Neuverteilung der Machtpositionen in der Welt aus waren. Auf dem Balkan war die Hölle los. Die Europäer trieben die Osmanen vom Balkan, waren sich aber untereinander auch nicht grün. Das Volk der Serben fühlte sich von den Österreichern unterdrückt, was diese aber nicht wahrhaben wollten. Schließlich waren sie diejenigen, die erheblich zur Befreiung des Balkans beigetragen haben. Außerdem war der Balkan durch seine Nähe zu Europa und zum Meer strategisch reizvoll für die Russen. Daher war Österreich ein strategischer Störfaktor. Der Balkan war somit ein Pulverfass und es brauchte nur einen einzigen Funken, um die Explosion - sprich den ersten Weltkrieg - auszulösen. Und das war das Attentat eines Serben auf den österreichischen Thronfolger.
(An dieser Stelle entschuldige ich mich für meine rudimentären Geschichtskenntnisse. Aber so ungefähr wird es gewesen sein.)

Man beginnt "Der Attentäter" also mit dem Wissen, wie die Story ausgehen wird. Am Ende sterben Thronfolger Franz-Ferdinand und seine Frau Sophie im Kugelhagel des Attentäters Gavrilo Princip, Tatort: Sarajevo. Ulf Schiewe beantwortet jedoch mit seinem Roman die Frage, was in den Tagen vor dem Attentat passiert ist bzw. passiert sein könnte, wobei Spekulationen hier nur sehr wenig Raum haben.
Der Roman ist in 7 Kapitel sowie Prolog und Epilog aufgeteilt. Einem Countdown gleich behandelt jedes Kapitel einen Tag der Woche vor dem Attentat, angefangen mit Montag, dem 22. Juni 1914.
Die Charaktere in diesem Roman sind größtenteils reale Personen, einige wenige sind fiktiv. Ein Personenverzeichnis am Ende des Buches gibt Auskunft darüber, welcher Charakter welchem Kreis zuzuordnen ist. Die Handlung wird aus wechselnden Perspektiven geschildert, allen voran die des Attentäters Gavrilo sowie seines Opfers Franz-Ferdinand, oder aber Markovic, der fiktive Major des österreichisch-ungarischen Geheimdienstes.

Trotzdem man weiß, dass der Ausgang dieser Geschichte unvermeidlich ist, ertappt man sich doch dabei, dass man völlig irrational auf eine Wendung in der Handlung hofft. Man zittert also mit den Charakteren und möchte sie manches Mal schütteln und sie in ihren Handlungsweisen beeinflussen können. Denn Ulf Schiewe macht deutlich, dass das Attentat auf das Thronfolger-Ehepaar auch eine Folge von Verkettungen blöder Zufälle und falscher Entscheidungen gewesen ist. Hätte der Zufall nicht geholfen, könnte man vermuten, dass die Geschichte anders ausgegangen wäre.

Besonders gut hat mir in diesem Roman die Schilderung des damaligen Zeitgeistes gefallen. Für mich war die Zeit vor dem 1. Weltkrieg nie wirklich greifbar. Viele Ereignisse und Zeitgenossen aus dieser Zeit waren mir lediglich voneinander losgelöst bekannt. Doch in "Die Attentäter" werden sie in einen Kontext gebracht. Das kann bspw. eine Berta von Suttner sein, Cousine der Frau des Thronfolgers und eine Figur in diesem Roman, die nur am Rande Erwähnung findet. Heutzutage ist Berta von Suttner vielen als Schriftstellerin und Friedensforscherin ein Begriff. In "Die Attentäter" wird deutlich, mit wieviel Widerstand die Dame zu kämpfen hatte und unter welchen schwierigen Verhältnissen sie ihren Standpunkt vertreten musste, was ihre Arbeit noch um einiges bemerkenswerter macht.
Genauso sind es auch die kleinen Dinge, die für den damaligen Zeitgeist stehen und dem Roman einen großen Charme verleihen. Mir war bspw. nicht bewusst, dass Mineralwasser in Glasflaschen damals eine aufsehenerregende Neuerung war und als Getränk den Reichen und Adeligen vorbehalten war. Es gibt also einige Aha-Erlebnisse in diesem Buch, die mir sehr viel Lesefreude bereitet haben.

Fazit:
Ein historischer Roman mit wenig Fiktion, dafür umso mehr Fakten, die zu einem hochkarätigen und spannenden Thriller verwoben sind.
Daher: Willst Du wissen, wie es früher war, lies einen Schiewe.

© Renie