Rezension (5/5*) zu Das Versprechen von Damon Galgut

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Versprechen von Damon Galgut
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Zerfall

2020 ging der wichtigste britische Literaturpreis, der Booker Prize, vergeben für das beste Buch in englischer Sprache, an einen Debütroman: "Shuggie Bain" von Douglas Stuart. Der Preisträger des Jahres 2021 war dagegen bereits zum dritten Mal nominiert: Damon Galgut, geboren 1963 in Südafrika. Für seinen Roman "Das Versprechen" bekam er den Preis nun erstmals zugesprochen und reiht sich ein in eine Serie afrikanischer Preisträger 2021: Literaturnobelpreis für Abdulrazak Gurnah, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Tsitsi Dangarembga und Prix Goncourt für Mohamed Mbougar Sarr, um drei weitere zu nennen.

Vier Jahrzehnte, vier Präsidenten, vier Beerdigungen
Im Zentrum von Galguts Roman steht die weiße südafrikanische Mittelstandsfamilie Swart. Nach vier ihrer fünf Mitglieder sind die vier Teile benannt: „Ma“, eigentlich Rachel, „Pa“, eigentlich Herman Albertus, genannt Manie, „Astrid“ und „Anton“. Jeder Teil spielt in einem anderen Jahrzehnt, beginnend 1986 in der Endphase der Apartheit unter Frederik Willem de Klerk. Die jüngste Tochter der Swarts, die dreizehnjährige Amor, wird zur Beerdigung ihrer Mutter aus dem Internat abgeholt. Es gibt Unruhen in den Townships, der Ausnahmezustand sowie eine Nachrichtensperre sind verhängt und die Familie versammelt sich an ihrem Wohnsitz, einer Farm außerhalb Pretorias. Salome, die schwarze Hausangestellte und hingebungsvolle Pflegerin der Mutter in ihren letzten Lebensmonaten, bleibt aus Rassegründen von der Trauerfeier ausgeschlossen.

Für Amor beginnt nach dem Tod der Mutter ein Kampf für die Umsetzung eines Versprechens, das der Vater seiner Frau kurz vor deren Tod gegeben hat: Salome soll für ihre Verdienste das kleine Haus erhalten, in dem sie mit ihrem Sohn lebt.

Auch in den weiteren Teilen, die nach dem Ende der Apartheit unter der Präsidentschaft von Nelson Mandela 1995, unter Thabo Mbeki 2004 und Jacob Zuma 2018 spielen, kommen die verbliebenen Familienmitglieder in der zunehmend herunterkommenden Farm zu Beisetzungen zusammen. Jede findet nach einem anderen Ritus und unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen statt. Parallel zu den politischen Umwälzungen im Land zerfällt die Familie und immer steht das unerfüllte Versprechen im Raum, das aller Leben beeinflusst.

Wenig Grund für Optimismus
Analog zur derzeitigen politischen Situation Südafrikas durchzieht auch den Roman vorwiegend Tristesse, scheitern doch alle Figuren an den eigenen Träumen, am Alkohol, an den sich ändernden Lebensbedingungen im Land, an ihren Versprechen – nicht nur an dem für Salome – oder verschreiben sich einem spirituellen Heilsbringer. Trotzdem gibt es gleich ein ganzes Bündel von Gründen, warum ich "Das Versprechen" so überaus gerne gelesen habe und mich über die Wahl der Jury freue. Die Idee, die Handlung anhand von Beerdigungen zu erzählen, ist ebenso originell wie brillant umgesetzt, die Verbindung zwischen der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung Südafrikas und der Familiengeschichte funktioniert bestens und die Ambivalenz der Familienmitglieder und Nebenfiguren ist, soweit sie als Schwarze nicht „unsichtbar“ bleiben, stimmig herausgearbeitet. Besonders beeindruckt hat mich die außergewöhnliche Erzähltechnik mit einem Bewusstseinsstrom im Präsens in einer stimmlichen Kakophonie wechselnder Perspektiven. Dazwischen werden mal die Figuren, mal die Leserinnen und Leser direkt angesprochen und es wird nicht mit Humor, Ironie und Sarkasmus gespart. Ein Roman also, der mir nicht nur Spaß gemacht und mich unterhalten, sondern mir die neuere Geschichte Südafrikas nähergebracht hat:

"Denn die Familie Swart hat so gar nichts Besonderes oder Bemerkenswertes, o nein, sie gleicht der Familie von der Nachbarfarm und der Nachbarfarm der Nachbarfarm, nur ein gewöhnlicher Haufen weißer Südafrikaner, und wenn du es nicht glaubst, brauchst du nur einmal darauf zu achten, wie wir sprechen. […] Unsere Seele ist irgendwie verrostet, regenfleckig und verbeult, und das hört man unserer Stimme an." (S. 278)