Rezension (5/5*) zu Das Marterl von Johannes Laubmeier

Irisblatt

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15. April 2022
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Marterl von Johannes Laubmeier
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Verlust

Das Jahr 2009 markiert für Johannes den „Nullpunkt einer Zeitrechnung“ (S. 249). Der tödliche Motorradunfall seines Vaters treibt ihn weg vom Ort des Unglücks, seiner Heimatregion, den dort lebenden Menschen und allem, was ihn an seinen Verlust erinnern könnte. Zehn Jahre später kehrt er zurück in seine niederbayrische Heimatstadt, um zu verstehen, was damals geschah, was mit ihm seither geschehen ist. Zaghaft begibt er sich auf die Suche nach Verlorenem, knüpft Kontakte zu Menschen, die ihm weiterhelfen könnten.
In der Gegenwart begleiten wir Johannes durch die Stadt, das Haus und den Garten seiner Kindheit. Er lässt sich treiben, beobachtet, registriert Veränderungen, erzählt Historisches aus der Umgebung. Die atmosphärischen Beschreibungen lassen die Landschaft und die Bauwerke vor dem inneren Auge entstehen. Besonders gut gelingt es dem Autor, die Empfindungen einzufangen, die mit einer solchen Rückkehr ins Vertraute und doch teilweise fremd Gewordenem verbunden sind.
Die Episoden aus der Vergangenheit lassen sich deutlich an der Veränderung der Erzählperspektive erkennen. Es wird in der dritten Person Singular von dem Jungen erzählt, der er einmal war. Erlebnisse mit dem Vater beim Wandern, gemeinsame Spaziergänge mit dem Hund tauchen ebenso auf wie Erinnerungen an die Großeltern, Schulstreiche, die Auftritte mit der Ska-Punk-Band und vieles mehr. Wir erfahren auch die Geschichte rund um den als Tiefseetaucher verkleideten Jungen auf dem Titelbild.
Die sich abwechselnden Kindheits- und auch Erwachsenenperspektiven sind auf ihre jeweilige Art sehr authentisch. Die kindliche Perspektive hat mich oft schmunzeln, manchmal auch mitleiden lassen, immer mein Herz erwärmt. Auch den philosophischen Gedankengängen, dem Schmerz und der Verlorenheit des erwachsenen Ich-Erzählers konnte ich gut folgen.
In den Text verwoben sind englische Verse des us-amerikanischen Dichters Charles Olson, die Johannes seelischen und emotionalen Zustand gut widerspiegeln. Filmreif sind auch die Szenen diverser Bierfeste, die im niederbayrischen A. als Volksfest gefeiert werden und die der bereits nicht mehr ganz so kindliche Junge in der Vergangenheit und natürlich auch der erwachsene Johannes in der Gegenwart miterleben. Diese Abschnitte brechen für einen kurzen Moment den schwermütigen Grundton des Romans auf und liefern erstaunliche Erkenntnisse bezüglich „bayrischer Kultur“.
„Das Marterl“ ist ein gelungenes autofiktionales Debüt, das mich in seiner melancholischen, leisen, poetischen und authentischen Art sehr berührt hat.

von: Joseph Conrad
von: Renate Nöldeke
von: Margaret Kennedy
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
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66
Das Buch wandert mit jeder neuen Rezension hier weiter nach oben auf meiner Wunschliste.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
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49
Was eine schöne Rezension! Ohne das Buch zu kennen, habe ich den Eindruck, du findest genau die richtigen Worte dafür, deine Beheisterung steckt an.

Die Leseprobe hat mir vom Sound her auch sehr gut gefallen. Allerdings schreckte mich das verschrobene Titelbild etwas ab (ich weiß, es ist ein echtes Foto;)). Nun merke ich mir den Titel!