Rezension (5/5*) zu Das mangelnde Licht von Nino Haratischwili

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Buchinformationen und Rezensionen zu Das mangelnde Licht von Nino Haratischwili
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Intensiv, facettenreich, bewegend

„Ich spürte, dass dieser Moment magisch war, und das nicht, weil wir in unserem Zusammenhalt eine unzerstörbare Kraft bildeten, eine Gemeinschaft, die vor keiner Herausforderung mehr zurückschrecken würde.“ (Zitat Seite 10)

Inhalt
Die Fotografie aus dem Jahr 1987 ist das einzige Bild, auf dem sie zusammen zu sehen sind, jung, voller Hoffnung auf die Zukunft. Es ist der Nachmittag vor ihrem großen Abenteuer, denn in der Nacht brechen sie durch ein Loch im Zaun in den Botanischen Garten ein. Damit ist die Freundschaft Dina, Keto, Ira und Nene, vier Mädchen aus dem Sololaki-Viertel, einem der buntesten Stadtteile von Tbilissi, endgültig besiegelt und die Lebensgeschichten scheinen untrennbar miteinander verbunden, bis Dinge passieren, die auch ihre Freundschaft zerstören. Erst 2019, viele Jahre später, treffen drei von ihnen in Brüssel wieder zusammen, als eine Retrospektive des fotografischen Gesamtwerkes von Dina eröffnet wird. Dina, die bekannte Fotografin, Ketos beste Freundin, fehlt. Sie ist tot, doch in ihren Bildern lebt sie weiter. Für Keto, Nene und Ira wird dieser Abend ein langer Weg zurück in die Vergangenheit, durch die Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, an Dina, zurück zu den Ereignissen, die ihr Leben für immer geprägt haben, verbunden mit der wechselvollen Geschichte von Georgien. Zu viel ist geschehen, mit diesen Erinnerungen ist keine intakte Gegenwart möglich, oder doch?

Thema und Genre
Dieser Roman ist die Geschichte Georgiens in den politisch unsicheren Jahren der Umbrüche, Aufstände, Gewalt. Gleichzeitig ist es die Geschichte einer Generation, deren Leben durch diese Jugendjahre für immer geprägt wird. Themen sind Freundschaft, Träume und Liebe, aber auch Macht, Gewalt und Verlust. Es geht um traditionelle gesellschaftliche Strukturen, das Patriarchat der Vätergeneration, das von den Brüdern der vier Freundinnen in Bezug auf das Wertesystem übernommen wird, obwohl die jungen Männer selbst, zornig und selbstbewusst, aus genau diesem System ausbrechen wollen.

Charaktere
Dina war schon als Kind unangepasst und rebellisch, Ira dagegen vernünftig und pragmatisch, besorgt, die vorsichtige, romantische Nene zu beschützen. Keto, als Kind angepasst und zurückhaltend, war schon immer die ausgleichende Schlichterin zwischen Dinas Freiheitsdrang, Iras Vernunft und Nenes Träumereien. Die Autorin hat ein unglaubliches Einfühlungsvermögen für jede einzelne der zahlreichen Figuren, die in dieser Geschichte leben, für ihre Konflikte, Überzeugungen, Zweifel und Gefühle.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung beginnt im Jahr 1987 in Tbilissi, verläuft jedoch nicht chronologisch, sondern in Episoden, an die sich die Ich-Erzählerin Keto bei ihrem langsamen Rundgang durch die Austellung und beim Betrachten der einzelnen Fotografien erinnert. So erfahren wir die prägenden Erlebnisse und Ereignisse im Leben der vier Frauen, die, wie sie selbst feststellen, in den ersten fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens mehr erlebt haben, als die meisten Menschen nicht einmal in einem gesamten, langen Menschenleben. Der zweite Handlungsstrang umfasst diesen einen langen Abend in Brüssel im Jahr 2019 und verläuft chronologisch. Nino Haratischwili ist eine wunderbare Erzählerin mit einem offenen, genauen Blick auf die Geschichte ihres Geburtslandes Georgien, vor allem aber auf die Menschen. Besonders ihre Frauenfiguren sind, bei allen Zweifeln, starke Frauen, die in einem von männlicher Gewalt und Konflikten dominierten Umfeld in den späten Jahren des 20. Jahrhunderts ihren eigenen Weg gegen alle Widerstände gehen.

Fazit
Ein großartiger Roman, bewegend, episch, facettenreich und packend, auch die Sprache zieht uns sofort in den Bann der Geschichte und lässt uns nicht mehr los. Ich habe mit dem Hörbuch begonnen, dann jedoch auf Grund der eindrücklichen Sprache und Komplexität der Geschichte diese im Buch weitergelesen. So kann ich auch das Hörbuch empfehlen, gelesen von Simone Kabst, deren angenehme Stimme und einfühlsame, lebhafte Art zu lesen ebenfalls überzeugen.




von: Katrine Engberg
von: Sabrina Janesch
von: Fynn Haskin
 
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