Rezension Rezension (5/5*) zu Das Licht in dir ist Dunkelheit: Kriminalroman von Marc Voltenauer.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Der Drache des Muveran

Die Geschichte packte mich schnell! Ich hatte fast das Gefühl, mich beim Lesen tatsächlich in dieses kleine Bergdorf in den Waadtländer Alpen zu begeben, die Örtlichkeiten, die Charaktere und die grandiose Aussicht quasi vor mir zu sehen.⁣

Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Marc Voltenauer seinen eigenen Wohnort als Schauplatz für diesen Krimi verwendet: immer wieder fließen kleine Besonderheiten des Dorfes in die Erzählung ein, die man als Anwohner sicher schmunzelnd wiedererkennt. Dadurch gewinnt das Buch einen gewissen Charme und gleichzeitig eine solide Basis, die die Geschichte realistischer wirken lässt. Heimvorteil.⁣

Ein kleines Dorf, jeder kennt jeden, hier ist scheinbar noch heile Welt… Krimis und Thriller, die in solch verschworenen Gemeinden spielen, bringen die menschliche Natur oft ungemein prägnant auf den Punkt – so auch hier.⁣

Trotz des Handlungsortes verfällt “Das Licht in dir ist Dunkelheit” nie in kitschige Dorfidylle, ganz im Gegenteil. In scharfem Kontrast zum malerischen Setting entwickelt das Buch eine zunehmend dichte, düstere Atmosphäre und macht dem Titel damit alle Ehre.⁣

Das Tempo beginnt eher gemächlich, was es dem Autor aber ermöglicht, die Geschichte und die handelnden Personen erstmal aus allen Blickwinkeln zu beschreiben. Doch in der zweiten Hälfte zieht das Tempo dann an, die Spannung schraubt sich hoch, der Täter schlägt immer wieder gnadenlos zu… Er hinterlässt Rätsel am Tatort, die sich scheinbar nur mithilfe der Bibel lösen lassen.⁣

Der ohnehin kleine Kreis der Verdächtigen schrumpft – das Grauen, man kann es nicht mehr leugnen, ist ganz nah. Die Morde werden zwar nicht verharmlost oder geschönt (da werden durchaus Augen ausgestochen und Ähnliches), aber auch nicht unnötig sensationsheischend bis ins allerkleinste blutige Detail ausgeschlachtet; dem Autor gelingt da eine gute Balance.⁣

Man merkt, dass dies der erste Band einer Reihe ist! Es wird eine ganze Reihe von Charakteren vorgestellt, die sicher auch in Folgebänden eine feste Rolle spielen werden, wie zum Beispiel die üblichen Spezialisten der Mordkommission. Eine bunte Truppe mit diversen Schrullen, Macken und Eigenheiten, die oft die düsteren Elemente der Geschichte ausgleichen – und dennoch sind die Charaktere komplex und glaubhaft. Gerade die Nebencharaktere bringen durchaus auch ihre eigenen Abgründe mit!⁣

Im Mittelpunkt steht Kommissar Andreas Auer von der Kriminalpolizei Lausanne, der in diesem Band gezwungen ist, wider Erwarten am eigenen Wohnort zu ermitteln. Er ist ein echtes Alphatier: entschlossen und selbstbewusst, manchmal ein bisschen zu selbstherrlich und zu Alleingängen aufgelegt. Aber Lebensgefährte Mikaël (ein sehr sympathischer, hochintelligenter Mann) und der gemeinsame Bernhardiner Minus bringen Andreas immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Mikaël ist zwar eigentlich Journalist, hilft Andreas aber auch heimlich bei seinen Ermittlungen, da er als ehemaliger Theologiestudent das nötige Hintergrundwissen mitbringt, um gewisse Aspekte der Mordserie zu deuten.⁣

Der Täter wird im Buch immer nur als “der Mann, der kein Mörder war” bezeichnet und hält sich dementsprechend auch nicht für einen solchen, sondern für den Verstrecker göttlicher Gerechtigkeit. Mit ihm hat Marc Voltenauer einen zutiefst gespaltenen Charakter erschaffen, der Teufliches tut, aber nicht verteufelt wird. Man erfährt nach und nach Einiges über seine Motive, und so kann er die Leser:innen durchaus dazu bringen, die Eindeutigkeit von Recht und Unrecht zu hinterfragen…⁣

Der Schreibstil liest sich wunderbar, flüssig und unterhaltsam, kann jedoch auch die dunklen Aspekte der Charaktere und der Handlung perfekt wiedergeben. Der Autor findet kraftvolle Bilder und ausdrucksstarke Metaphern, verliert dabei aber auch die feinen Schattierungen und die Zwischentöne nicht aus dem Blick.⁣

Im Buch spielen der christliche Glaube und die Bibel eine große Rolle, und einer der Hauptcharaktere ist ehemaliger Theologiestudent – genau wie Autor Marc Voltenauer. Überhaupt bleibt der in diesem Krimidebüt bei seinen Leisten.⁣

Er wohnt, wie schon gesagt, am Handlungsort, erwähnte in Interviews, dass er eigene Persönlichkeitsmerkmale in seinen Hauptcharakter einbrachte – wobei er aber Wert darauf legt, dass er NICHT Kommissar Auer ist! – und betrieb ansonsten viel Recherche. Das Resultat ist ein sehr solider Krimi, der im französischen Original in Frankreich und in der Westschweiz zum Bestseller wurde.⁣

Pluspunkte für echte Diversität: Hier schreibt ein homosexueller Autor über einen homosexuellen Protagonisten, was eigentlich so selbstverständlich sein sollte, dass es keiner näheren Erwähnung bedarf. Tatsächlich ist LGBTQ+ Repräsentation jedoch etwas, das mir nicht allzu oft in diesem Genre begegnet und auch in anderen Genres noch zu kurz kommt.⁣

Ich freue mich sehr darüber, dass hier eine homosexuelle Beziehung als so normal dargestellt wird, wie sie es verflixt noch mal ja auch ist!⁣

Fazit⁣

Im kleinen Bergdorf Gryon in den Waadtländer Alpen ist die Welt noch in Ordnung. Man kennt sich, man hilft sich gegenseitig. Doch dann wird in der kleinen Kirche eine Leiche gefunden – mit ausgestochenen Augen und einem Messer in der Brust, drapiert wie Jesus am Kreuz. Auf einem am Messer befestigten Zettel: ein Bibelzitat. Und dies ist nur das erste Opfer… Schnell müssen die Bewohner des kleinen Ortes sich fragen, wer von ihnen vor vielen Jahren Schuld auf sich geladen hat, die der Mörder jetzt eintreibt.⁣

Dies ist der erste Band einer Reihe, die ich sicher weiterverfolgen werde – mir gefallen sowohl der ungewöhnliche Schauplatz als auch die diversen Charaktere, die komplexe Handlung und der atmosphärisch dichte Schreibstil.⁣