Eigenwillig und atmosphärisch
Das große A steht für Afrika, dem Sehnsuchtsort von Giada, die den zweiten Weltkrieg in einer Kleinstadt der Lombardei bei ihrer lieblosen Tante erlebt hat. Nun ist der Krieg vorüber und die 17jährige Giada darf endlich zu ihrer Mutter nach Eritrea reisen. Die für die damalige Zeit enorm emanzipierte Adele führt eine Bar in einem Ort an der Küste des Roten Meeres.
Man könnte Caminitos Roman als historischen Bildungsroman beschreiben – er zeichnet ein spannendes Bild von Italien als Kolonialmacht und gleichzeitig den Emanzipationsprozess einer jungen Frau, für die ihre Mutter ein Vorbild ist. Nur ist Adele sich der Opfer, die für ihre Eigenständigkeit nötig waren, sehr bewusst. Diese Art des Außenseitertums möchte sie ihrer Tochter ersparen und arrangiert eine Ehe, die für Giada zum Prüfstein wird. Caminito präsentiert uns eine bodenständige Heldin, die sich weder unterkriegen noch unterwerfen lässt und sowohl ihrem Ehemann als auch der italienischen Haute volée zeigt, wo der Hammer hängt. Giadas Entwicklung ist der rote Faden des Romans, dem man gerne folgt.
Den Einstieg in den Roman macht Caminito uns nicht leicht. Es lohnt sich jedoch, das erste Kapitel auszuhalten, denn schon das zweite liest sich viel flüssiger und Setting, Figuren und Handlung gewinnen Kontur. Ich mochte Caminitos Art, unvermittelt in die Zukunft zu zoomen – Giadas künftigen Ehemann vorzustellen, eine Liste der Dinge zu liefern, die Giada an Afrika lieben wird - und dann wieder in die erzählerische Gegenwart zurückzukehren. Vieles bleibt vage; manchmal hätte ein Satz genügt, um mehr Klarheit zu schaffen, aber absichtsvoll lässt Caminito das Bild an den Rändern verschwimmen.
So wird die politische Lage in Eritrea nur angedeutet. Ohne eigene historische Kenntnisse können die erwähnten Ereignisse nicht eingeordnet werden. Ähnlich geht es mit den geografischen Verhältnissen – ohne Google sind die Schauplätze mit ihren jeweiligen Charakteristika nicht zu verorten. Aber darum geht es Caminito auch nicht – ihr Anliegen ist die Kolonisierung an sich, vor allem der Dünkel der Kolonisten, die die einheimische Kultur abwerten und die italienische überhöhen. „Wir haben ihnen alles gebracht.“ Zum Beispiel Eiswürfel als das ultimative Zeichen für Zivilisation – ironische Schlaglichter wie dieses ziehen sich durch den ganzen Roman. Was in Europa geschehen ist, kommt den Expats vor wie ein Film in der Wochenschau und hat nichts mit ihnen zu tun – bis die Geschichte auch sie einholt. Und Caminitos Heldinnen Adele und Giada sind mittendrin.
Der Stil der Autorin zwingt zu Aufmerksamkeit. Er ist erratisch, sprunghaft, die Wortwahl assoziativ. Manche Formulierungen müssen erst durch den Bauch gehen, bevor der Kopf etwas damit anfangen kann, und manchmal müssen sie dort auch bleiben. Das hat mich jedoch nicht gestört, sondern trug im Gegenteil zum eigenwilligen Charme des Romans bei. Mit jedem neuen Kapitelanfang macht sich, so scheint es, die Autorin einen Spaß daraus, die Leserin spielerisch zu verwirren. Dann braucht es ein oder zwei Seiten, bis man wieder orientiert ist – ein origineller Kunstgriff, auf den ich mich gerne eingelassen habe. Für einen Erstling finde ich den Roman erstaunlich selbstbewusst in der Wahl seiner Stilmittel – aber genau das hebt den Text heraus.
Was mich aber vollständig für „Das große A“ eingenommen hat, ist die atmosphärische Schilderung Eritreas und seiner afrikanischen und italienischen Bewohner - man meint, dort zu sein. Gerne bin ich mehr und mehr eingetaucht und habe Afrika ungern verlassen. So wie Adele und Giada, deren Zeit in Eritrea zusammen mit Italiens Machtanspruch zu Ende geht. Der Roman liest sich wie ein intensiver Wachtraum und erinnerte mich in seiner Gestimmtheit ein wenig an Karen Blixen.
Eine anspruchsvolle, aber lohnende Lektüre, die lange nachklingt.
Das große A steht für Afrika, dem Sehnsuchtsort von Giada, die den zweiten Weltkrieg in einer Kleinstadt der Lombardei bei ihrer lieblosen Tante erlebt hat. Nun ist der Krieg vorüber und die 17jährige Giada darf endlich zu ihrer Mutter nach Eritrea reisen. Die für die damalige Zeit enorm emanzipierte Adele führt eine Bar in einem Ort an der Küste des Roten Meeres.
Man könnte Caminitos Roman als historischen Bildungsroman beschreiben – er zeichnet ein spannendes Bild von Italien als Kolonialmacht und gleichzeitig den Emanzipationsprozess einer jungen Frau, für die ihre Mutter ein Vorbild ist. Nur ist Adele sich der Opfer, die für ihre Eigenständigkeit nötig waren, sehr bewusst. Diese Art des Außenseitertums möchte sie ihrer Tochter ersparen und arrangiert eine Ehe, die für Giada zum Prüfstein wird. Caminito präsentiert uns eine bodenständige Heldin, die sich weder unterkriegen noch unterwerfen lässt und sowohl ihrem Ehemann als auch der italienischen Haute volée zeigt, wo der Hammer hängt. Giadas Entwicklung ist der rote Faden des Romans, dem man gerne folgt.
Den Einstieg in den Roman macht Caminito uns nicht leicht. Es lohnt sich jedoch, das erste Kapitel auszuhalten, denn schon das zweite liest sich viel flüssiger und Setting, Figuren und Handlung gewinnen Kontur. Ich mochte Caminitos Art, unvermittelt in die Zukunft zu zoomen – Giadas künftigen Ehemann vorzustellen, eine Liste der Dinge zu liefern, die Giada an Afrika lieben wird - und dann wieder in die erzählerische Gegenwart zurückzukehren. Vieles bleibt vage; manchmal hätte ein Satz genügt, um mehr Klarheit zu schaffen, aber absichtsvoll lässt Caminito das Bild an den Rändern verschwimmen.
So wird die politische Lage in Eritrea nur angedeutet. Ohne eigene historische Kenntnisse können die erwähnten Ereignisse nicht eingeordnet werden. Ähnlich geht es mit den geografischen Verhältnissen – ohne Google sind die Schauplätze mit ihren jeweiligen Charakteristika nicht zu verorten. Aber darum geht es Caminito auch nicht – ihr Anliegen ist die Kolonisierung an sich, vor allem der Dünkel der Kolonisten, die die einheimische Kultur abwerten und die italienische überhöhen. „Wir haben ihnen alles gebracht.“ Zum Beispiel Eiswürfel als das ultimative Zeichen für Zivilisation – ironische Schlaglichter wie dieses ziehen sich durch den ganzen Roman. Was in Europa geschehen ist, kommt den Expats vor wie ein Film in der Wochenschau und hat nichts mit ihnen zu tun – bis die Geschichte auch sie einholt. Und Caminitos Heldinnen Adele und Giada sind mittendrin.
Der Stil der Autorin zwingt zu Aufmerksamkeit. Er ist erratisch, sprunghaft, die Wortwahl assoziativ. Manche Formulierungen müssen erst durch den Bauch gehen, bevor der Kopf etwas damit anfangen kann, und manchmal müssen sie dort auch bleiben. Das hat mich jedoch nicht gestört, sondern trug im Gegenteil zum eigenwilligen Charme des Romans bei. Mit jedem neuen Kapitelanfang macht sich, so scheint es, die Autorin einen Spaß daraus, die Leserin spielerisch zu verwirren. Dann braucht es ein oder zwei Seiten, bis man wieder orientiert ist – ein origineller Kunstgriff, auf den ich mich gerne eingelassen habe. Für einen Erstling finde ich den Roman erstaunlich selbstbewusst in der Wahl seiner Stilmittel – aber genau das hebt den Text heraus.
Was mich aber vollständig für „Das große A“ eingenommen hat, ist die atmosphärische Schilderung Eritreas und seiner afrikanischen und italienischen Bewohner - man meint, dort zu sein. Gerne bin ich mehr und mehr eingetaucht und habe Afrika ungern verlassen. So wie Adele und Giada, deren Zeit in Eritrea zusammen mit Italiens Machtanspruch zu Ende geht. Der Roman liest sich wie ein intensiver Wachtraum und erinnerte mich in seiner Gestimmtheit ein wenig an Karen Blixen.
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