Rezension Rezension (5/5*) zu Das Ende von Eddy: Roman von Édouard Louis.

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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München
Buchinformationen und Rezensionen zu Das Ende von Eddy: Roman von Édouard Louis
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Eine Auferstehung

"An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung".Mit diesem schrecklichen Satz beginnt der Roman „Das Ende von Eddy" von Édouard Louis. Der Debütroman des jungen Franzosen wurde in Frankreich zum Bestseller und ist mittlerweile in 20 Sprachen übersetzt.

Der Roman erzählt die Kindheit des Jungen Eddy, der aus einfachsten Verhältnissen aus einem kleinen Dorf in der Picardy in Nordfrankreich stammt. Das Pech dieses kleinen Jungen ist nun, dass er homosexuell ist, dabei sehr zierlich und feminin und eine vergleichsweise hohe Stimme hat. Der zehnjährige Eddy spricht selber von seinem "Hüftschwung".

Dieses Anderssein macht ihn im Dorf schnell zum Gespött. In der Schule wird er beinahe täglich gequält, gedemütigt und verprügelt. Grundlos. Einfach weil er ist, was er ist. Weil er jemand zu sein scheint, an dem man die eigene aufgestaute Wut straflos abreagieren kann. Dazu kommt die Verständnislosigkeit der Familie, der Alkoholismus des Vaters, die Tristesse der Armut. Oft gibt es in der Familie zum Monatsende nichts mehr zu essen, weil das Geld für Nahrungsmittel fehlt. Licht gibt es nur in der Wohnküche, in dem ständig der Fernseher läuft, die Mutter kocht und Eddy nebenher Hausaufgaben macht. Der eigene Bruder will ihn einmal angetrunken totschlagen. In dieser Welt, in der die Männer seit Generationen in der Messingfabrik arbeiten, gibt es keine anderen Perspektiven. Eddy will nicht in die Messingfabrik. Irgendwann wird ihm klar, dass sich nichts ändern wird, dass er fliehen muss oder zugrunde gehen wird.

Als Édouard Louis. das Manuskript einem Pariser Verleger vorlegte wurde es zunächst abgelehnt mit der Begründung, die Geschichte und Personen seien überzeichnet, eine unrealistische Karikatur eines Lebens, das es so nicht gebe. Der junge Autor konterte später in einem Interview, dass es gut sein könne, dass sich der Pariser Verleger, der die Insel seiner eigenen und gut situierten Lebenswirklichkeit nie verlassen hat, nur schwer die Lebensverhältnisse im bettelarmen, ländlichen Nordfrankreich vorstellen könne.

Dieses Buch ist nicht nur ein Plädoyer für Toleranz. Es schildert nicht nur die Qualen eines Außenseiters, den sein Umfeld als nicht zugehörig ansieht. Das Ende von Eddy ist auch ein Stück weit Zeitgeschichte. Aktuell erleben wir in westlichen Demokratien eine verdutzte Politelite, die hilflos Erklärungen dafür sucht und nicht versteht, warum so viele Wähler außerhalb der Metropolen sich populistischen Politikern zuwenden. Édouard Louis Beschreibungen sind Einblicke in die Verhältnisse eines Entwicklungslandes, das in Politik und Medien nicht mehr auftaucht.

Wer die latente Wut, den latenten Hass der Abgehängten und ihre Suche nach Sündenböcken ein wenig besser verstehen will, der muss nur die alltäglichen Dialoge von Familie, Nachbarn und Verwandtschaft lesen, die Édouard Louis zu Papier gebracht. Das ist absurd, komisch, brutal, gemein und manchmal bemitleidenswert.

Und immer wieder sucht dieser Édouard Louis zu verstehen, warum die Dinge sind, wie sie sind. Manchmal hat man den Eindruck er spricht zu sich selber. Liest man seine einleuchtenden gesellschaftlichen Analysen könnte man annehmen das Buch habe ein 50jähriger Soziologe geschrieben. Dabei stammen sie aus der Feder eines gerade mal 20jährigen, dessen Verstand durch die täglichen Demütigungen und der verzweifelten Suche nach Erklärungen messerscharf geworden ist. Absolute Leseempfehlung!

 
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