Rezension Rezension (5/5*) zu Das achte Leben (Für Brilka) von Nino Haratischwili.

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das achte Leben (Für Brilka) von Nino Haratischwili
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Georgien... danach weißt du, wo es ist!

Mit gerade mal 31 Jahren wagte es die Autorin dem geneigten Leser eine 1280-seitige und gut 100 Jahre umfassende Geschichte aus Georgien vorzulegen. Eine logistsiche Herausforderung in Raum und Zeit. Aber ach, nicht so zögerlich, schnell noch gegockelt, wo Georgien überhaupt liegt und dann frisch ans Werk. Am besten noch mit einer heißen Schokolade, nicht nur der Jahreszeit sondern auch dem Geschehen im Buch geschuldet!
Denn die Familiengeschichte wird von einem Schokoladenfabrikanten begründet, was mich daran erinnert, dass man sich den Schutzumschlag aufgeklappt neben das Buch legen sollte. Der darauf abgebildete Stammbaum der Familie mit den fettgedruckten Hauptpersonen, deren Namen die acht Titel der Bücher/Leben sind, hilft bei der Einordnung der Verwandschaftverhältnisse.
Der Ur-Urgroßvater lebte noch in einem warmen, sonnigen Land am Schwarzen Meer, mit aufstrebenden Zielen und Plänen für ganz Europa, während schon die dunklen Wolken der russischen Vorherrschaft am Horizont zu erkennen waren und Georgien schließlich für 70 Jahre in die Sowjetische Union einverleibt wurde.
Die Familie Jaschi gerät in diesen Strudel der politischen Machtkämpfe, opfert ihre Männer, mal auf der einen, aber auch auf der anderen Seite. Die Hauptgeschichte aber ist den Frauen dieser Familie gewidmet, starken, unabhängigen Frauen, die aufbegehren, aber auch sanften, nachgiebigen Frauen, die zusammenhalten, Trost spenden, ihren Männern treu ergeben sind. Alle versuchen in diesem Patriarchat ihr Fleckchen Glück, oder einfach nur Ruhe zu finden, sind aber fortwährend der Gewalt und dem Willen ihrer Väter, Brüder und Ehemännern ausgeliefert. Freiheit und Selbstbestimmung bedeuten dann auch gleich Verbannung und Ächtung.
Kämpfe, Demonstrationen, Enteignungen, Flucht, all das macht dieses doch recht umfangreiche Buch zu einem wahrhaft spannenden Schmöker und man ist den Figuren ergeben, möchte wissen, wie es mit ihnen weitergeht, ob sie sich finden und vor allem, warum Brilka diese Geschichte erzählt wird. Sie ist die jüngste in der Kette der Frauen, die ihre Freiheit, ihre Ideen zu verwirklichen suchen und mit einer Tasse heißer Schokolade aus dem geheimen Familienrezept den Trost suchen, aber auch das Schicksal herausfordern.

Ein Familienepos (eigentlich nicht mein Ding), mit ein paar wenigen, verzeihlichen Längen zum Schluss, welches mich aber doch durch den Schauplatz (Georgien war ja fast das ganze 20.Jahrhundert von der Landkarte verschwunden), der politischen Komponente, den faszinierenden Frauenfiguren und der spannenden Handlungen überzeugt hat. Ein klitzkleiner Wehmutstropfen bringt der Eindruck, dass mich die Autorin ein- zweimal auf ihr Unverständniss der fehlenden Kampfbereitschaft und scheinbaren Gleichgültigkeit der Westeuropäer gegenüber der Politik hinwies. Nun, jeder hat einen anderen Background, aber dafür lesen wir ja, dann verstehen wir auch besser und dafür hat die Nino dann doch gut gesorgt. Chapeau!

 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Eine wunderbare Rezension! Tosender Beifall dafür!
 

sursulapitschi

Aktives Mitglied
18. September 2019
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Schöne, sehr unterhaltsame Rezension, der ich ganz und gar zustimme (nachdem ich schon etwa 25 von 48 Stunden Hörbuch gehört habe. Das dauert...)
 
  • Haha
Reaktionen: Literaturhexle