Rezension (5/5*) zu Dagegen die Elefanten!: Roman von Dagmar Leupold

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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»Wort des Monats: Moostrost«

Schon nach wenigen Seiten verlor ich mein Leserinnenherz an Herrn Harald.

Ich liebte seine würdevolle Art. Ich liebte seinen feinen Sinn fürs Detail. Ich liebte die respektvolle Aufmerksamkeit, die er sogar den scheinbar belanglosesten Gegenständen schenkt. Da eröffnen sich ganze Welten in seinen Gedanken, in seinen Metaphern und behutsamen Bildern; da breitet sich beim Lesen ein tiefer innerer Reichtum vor dir aus. Er ist ganz ohne Zweifel exzentrisch, indes auf ruhige Art, die nichts fordert und nichts erwartet.

Ach, Herr Harald, du Held der kleinen Dinge.

»Überhaupt hat er schöne Antworten auf nicht gestellte Fragen parat, schlanke Gedanken. Schlank, denn sie haben eine gute Figur. (…) Aussprechen lassen sich solche Gedanken jedoch nicht, sie würden bei Luftkontakt zerstäuben, so flaumig sind sie.«
(ZITAT)

Sein Beruf könnte als banal unterschätzt werden, doch er übt ihn aus mit Stolz. Ohne Groll, ohne Bitternis nimmt er hin, dass er übersehen wird, als sei er nur ein nützlicher Gegenstand. Klaglos hat er sich eingerichtet in seiner Einsamkeit, und doch stockt dir als Leser:in manchmal der Atem ob der stillen Sehnsucht, die aus den Zeilen spricht. Wie jeder Mensch hat auch Herr Harald Wünsche und Gefühle, doch als er sich in eine Frau verliebt, die ebenfalls von allen übersehen wird, bringt das seine Routinen empfindlich durcheinander.

Hier hätte Dagmar Leupold abrutschen können in den Kitsch – den romantischen oder den Betroffenheitskitsch, völlig egal, beides wäre eine Schmälerung von Herrn Haralds Persönlichkeit und Potential gewesen. Aber sie umschifft das gekonnt, lässt ihrem Protagonisten Raum zum Scheitern, dadurch aber auch zum Wachsen. Die Waffe, die Herr Harald eines Abends in einer Manteltasche findet, wird zum Inbegriff möglicher Veränderung.

»Bin ich froh, flüstert Herr Harald und weiß selbst nicht, ob mit oder ohne Fragezeichen. Sicher ist, dass es zwei Herzkammern gibt, die es ihm nun leichter machen, Freude, Aufregung und Sorge unterzubringen, und zwar so, dass Platz für Ausdehnung bleibt, denn alle drei können wachsen.«
(ZITAT)

Es ist eine Geschichte der leisen Töne, ohne klassischen Spannungsbogen, ohne dramatische Entwicklungen. Wahrhaft großartig wird sie erst dann, wenn man ihr mit Herrn Haralds Wertschätzung für das Unspektakuläre Raum gibt – aber dann liest sich alles wie aus einem Guß, als könnte man es gar nicht anders erzählen. Sprachlich ist diese zarte Erzählung eine Wucht.

Fazit:

Herr Harald ist Garderobier im Theater, ein Beruf, den er mit stiller Würde ausübt. Er hat keine Familie, keine Freunde, im beruflichen Alltag wird er als Mensch gar nicht wahrgenommen. Dennoch scheint ihm nichts zu fehlen, bis seine Welt in zweierlei Hinsicht erschüttert wird: Er verliebt sich, er findet eine Waffe, und beides öffnet eine gedankliche Brücke zu dem, was im Leben vielleicht noch möglich wäre.

Der Roman lebt vor allem von seinem wunderbaren Protagonisten, aber auch von seinem einmaligen still-poetischen Schreibstil. Ein introspektives Leseerlebnis, das eher vom Wesen der Dinge erzählt als einer Handlung von A bis Z zu folgen.

 

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