Rezension Rezension (5/5*) zu Da sind wir: Roman von Graham Swift.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ein Roman voller Zauber u d Magie

Der 1949 in London geborene Graham Swift zählt zu den großen englischen Gegenwartsautoren. Zwei seiner Romane wurden verfilmt; für den Roman „ Letzte Reise“ erhielt er 1996 den Man Booker Prize. Seit dem Erscheinen seiner Novelle „Ein Festtag“ ist Swift auch international ein bekannter Schriftsteller. Mit „Da sind wir“ hat er nun erneut ein kleines Meisterstück vorgelegt.
Hier entführt er uns in das bekannte Seebad Brighton in den 1950er Jahren, in die Welt der Varietés. In einer der abendlichen Shows treten die beiden Freunde Jack und Ronnie auf. Die beiden kennen sich seit ihrer Militärzeit. Jack führt als Conferencier und Entertainer durch das Programm, während Ronnie mit Zauberkunststücken das Publikum begeistert. Noch mehr Erfolg aber hat Ronnie, als ihm die junge, hübsche Evie als Assistentin zur Seite steht. Sie soll mit ihrem Lächeln und ihren wohlgeformten Beinen das Publikum ablenken, während Ronnie unbemerkt diverse Schubladen öffnet, um Dinge verschwinden zu lassen oder Gegenstände hervorzuzaubern.
Bald sind die beiden nicht nur auf der Bühne ein Paar, sondern auch im richtigen Leben. Doch Jack hat ebenfalls ein Auge auf die reizende Frau geworfen und es kommt, wie es kommen muss. Als Ronnie zu seiner sterbenden Mutter fährt und ein paar Tage wegbleibt, um deren Beerdigung zu organisieren, landen Jack und Evie miteinander im Bett. Bei seiner Rückkehr spürt Ronnie sofort, was geschehen ist. Aber beide schweigen über die Affäre. Stattdessen plant Ronnie seinen letzten großen Auftritt - weg von der Zauberei , hin zur Magie.
Swift bleibt aber nicht nur auf dieser Zeitebene, sondern geht zurück in die Vergangenheit und wirft einen Blick in die Zukunft.
Er erzählt Ronnies Kindheitsgeschichte. Der wächst auf in ärmlichen Verhältnissen in London. Der Vater ist als Seemann ständig unterwegs, die Mutter wird zunehmends verbittert. Bei Kriegsausbruch wird der 8-jährige Junge, wie so viele Kinder dieser Zeit, aus dem unsicheren London aufs Land geschickt. Hier meint es das Schicksal gut mit ihm. Er kommt nicht zu Leuten, die ihn als Arbeitskraft missbrauchen ( wie es öfter geschehen ist ), sondern findet in Evergrene ein neues Zuhause. Das kinderlose Ehepaar Lawrence liebt ihn wie einen eigenen Sohn und Mr. Lawrence führt ihn in die Kunst der Zauberei ein. Ronnie hat seine Berufung gefunden, zum Entsetzen seiner Mutter.
Fast fünfzig Jahre nach diesem Sommer in Brighton erinnert sich die alte Evie an jene Zeit. Mittlerweile ist sie Witwe, ihr Mann Jack ist vor einem Jahr gestorben. Er hatte Karriere als Schauspieler und Entertainer im Fernsehen gemacht, Evie war seine Managerin.
Die Sprache und der Erzählstil des Buches sind besonders. Virtuos verwebt Swift ständig die verschiedenen Zeitebenen in einem kleinen Abschnitt. Auch einzelne Motive des Romans tauchen immer wieder auf, wie der bunte Papagei, der das Buchcover ziert oder der Ausspruch „Here we Are“, wie der Roman im Original heißt.( Der deutsche Titel trifft die Bedeutung nicht ganz.)
Er lässt die vergangene Welt der Varietés wieder auferstehen und schafft dabei Bilder voller Atmosphäre.
Feinfühlig spürt er den ambivalenten Gefühlen seiner Protagonisten nach. Das schafft lebendige, glaubhafte Figuren.
Der schmale Roman ist unglaublich dicht; jeder Satz ist gleich wichtig, jedes Wort hat seine Bedeutung. Das ist kein Buch zum oberflächlichen Lesen, eher eines, das eine nochmalige Lektüre verlangt. Erst dann versteht der Leser die vielen Hinweise und Vorausdeutungen.
Ein wunderbarer Roman, voller Zauber und Magie, dem ich viele Leser wünsche.