Rezension Rezension (5/5*) zu Café Berlin von Harold Nebenzal.

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
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Essen
Die Faszination des Orients in Nazi-Berlin

Daniel Saporta lebt als orientalischer Jude in den 1930er Jahren in Berlin, wo sich (noch) ein buntgemischtes Kulturleben austoben kann. Nach Berlin gekommen ist er als 17-jähriger, geschickt von seinem Vater aus Damaskus nach Europa, um dort bei einem befreundeten Gewürzhändler in die Lehre zu gehen. Doch diese Karriere bleibt nur von kurzer Dauer, da sich Daniel ein Verhältnis mit der Frau des Hauses erlaubt, was zu seinem Rausschmiss führt. Er muss das Haus verlassen und greift auf der Suche nach Alternativen zu der ersten sich bietenden Möglichkeit: er wird Besitzer und Betreiber eines Nachtclubs. Hier gelingt es ihm, seine orientalische Herkunft zu nutzen und die Vorlieben des ach so konservativen, nationalistisch gesinnten Publikums für exotische Schönheiten und Gebräuche zu einem der angesagtesten Treffpunkte der deutschen Hauptstadt zu entwickeln. Mit orientalischer Bauernschläue und Geschäftssinn macht er das Kaukasus zum Szenetreff für Nazigrößen und ausländische Gäste der Stadt. Als Juden erkennt ihn dabei (fast) niemand, gleicht er doch mehr einem Vertreter des Islam aus dem Orient, d. h. einem Vertreter einer Volksgruppe, die zeitgleich als Verbündete der Nazis den Judenhass auch in ihren Ländern und Regionen auszuleben wissen. Eine Verstrickung in Spionagetätigkeiten bringt ihn dann aber doch in die Situation, dass seine wahre Identität auffliegt und er sich über Jahre hinweg in einer Dachkammer in Berlin-Mitte versteckt halten muss, immer gut versorgt von seinem getreuen Angestellten Lohmann.
Der Roman wird in zwei Zeitebenen erzählt. Beide werden in Tagebucheinträgen Daniels entwickelt:
1. Die Zeit des Versteckens auf dem Dachboden mit der ständigen Langeweile, dem Warten auf Lohmann mit der lebensnotwendigen Nahrung, immer gepaart mit der Sorge um das Überleben Lohmanns, der Daniels einzige Brücke in die Außenwelt ist und ohne den er die Situation nicht überstehen könnte.
2. Die Berliner Geschichte Daniels und des „Kaukasus“, die er im Rückblick in seiner lang werdenden Zeit auf dem Dachboden zu Papier bringt.
Mein Fazit:
Ich habe in diesem Roman einen überraschenden Blick auf das Judenleben und die Judenverfolgung im Dritten Reich erhalten. Das Bild des Juden, das sich an sich schon als viel zu differenziert darstellt, um die Vorstellung von einer Rasse der Juden irgendwie aufrecht erhalten zu können, wird hier noch durch eine Spielart ergänzt, die wir selten bis nie im Blick haben. Juden, die sephardischer Herkunft sind und ihre Herkunft und Genese im Orient finden, habe ich so noch nicht in der breitgefächerten Literatur über diese Zeit gefunden.
Diese Entdeckung hat das Buch für mich wegen seiner Thematik sehr interessant gemacht. Dazu ist es auch einfach sehr gut erzählt, es schafft eine sehr „authentische Atmosphäre bei einem wirklich originellen Plot“ (Zitat von Billiy Wilder). Ich vergebe 5 Sterne und eine Leseempfehung zu diesem bisher etwas übersehenen Buch aus dem Kein & Aber-Verlag.