Rezension Rezension (5/5*) zu Bühlerhöhe: Roman von Brigitte Glaser.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Buchinformationen und Rezensionen zu Bühlerhöhe: Roman von Brigitte Glaser
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Literarisch verarbeitete Historie im Luxushotel

Die Bühlerhöhe ist ein luxuriöses Hotel im Nordschwarzwald mit einer interessanten Entstehungsgeschichte und interessanten und illustren Gästen. Auch heute kann man dort noch bzw. wieder logieren, wenn man das nötige Großgeld dafür hat und mich würde interessieren, ob sich der Roman „Bühlerhöhe“ der von Brigitte Glaser geschrieben und 2016 im Ullstein-Verlag veröffentlicht wurde auf die Gästezahlen ausgewirkt haben und literarische Begeisterte nach der Lektüre den tatsächlichen Ort auch selbst sehen und fühlen wollten. Für einen lohnenden Eindruck zum Hotel und zum Hintergrund des Romans sei empfohlen: http://www.buehlerhoehe.de/web/
In diesem Hotel treffen im Sommer 1953 nicht nur eine bunte Schar von Personen aufeinander, die einen interessanten Querschnitt über die Gesellschaftsgruppen bilden, die auf die ein oder andere Weise in der Aufarbeitung der jüngeren deutschen Vergangenheit stecken. Sie alle ranken sich irgendwie um zwei zentrale Frauengestalten:
• Da ist Rosa Silbermann, eine Jüdin, die gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Rachel als einzige der Familie den Holocaust überlebt hat und in einem israelischen Kibbuz lebt und den Aufbau des Staates Israel als Heimstatt möglichst aller Juden sehr ernsthaft unterstützt.
Sie ist als Laienspionin aus Israel in die Bühlerhöhe geschickt worden, um dort gemeinsam mit einem erfahreneren Spion sicherzustellen, dass dem deutschen Kanzler Adenauer bei seinem Ferienaufenthalt im Hotel entgegen ernstzunehmenden Hinweisen nichts zustößt, damit er nicht an der geplanten, höchst umstrittenen Unterzeichnung des Wiedergutmachungsgesetzes, nach dem die Bundesrepublik erhebliche Wiedergutmachungszahlungen an den Staat Israel leisten soll, gehindert werden kann.
Als sie in die alte Heimat zurückkehrt, kann sie das nur tun mit dem ständigen Bild von Leichenbergen vor dem inneren Auge und der ständigen Frage zu den getroffenen Personen „Was hast du gemacht?“, bei gleichzeitig aufflammendem echtem Heimatgefühl angesichts altbekannter, geliebter Orte und auch alter Bekannter.
• Und da ist die Hoteldirektorin Sophie Reisacher, die mit harter Hand die Geschicke des Hotels lenkt und leitet. Aus unserer heutigen Sicht also eine echte Karrierefrau, die aber nichts anderes im Kopf hat, als sich einen Ehemann zu sichern, um nicht als gesellschaftlich geächtete Unverheiratete enden zu müssen.

Um diese herum entwickelt sich das Geschehen auf den Höhen des Nordschwarzwald zumeist in einem engen Zirkel rund um die beiden eng verbundenen Hotels Bühlerhöhe und dem etwas weniger luxuriösen Hundseck. Zunächst wartet man auf die nie ganz sicher terminierte Ankunft des Kanzlers und versucht alle Gefahren bzw. gefährlichen Gestalten in diesem Umfeld zu identifizieren, zu analysieren und gegebenenfalls aufzudecken. Es geht hier also nicht um ein „Who done it?“ sondern um ein „Who will try to do it?“ Und tatsächlich ist „Bühlerhöhe“ auch nie ein Kriminalroman, auch wenn es eine im See versenkte Leiche gibt, sondern eher ein Gesellschaftsroman, der dem Leser den Zeitgeist der Nachkriegs-Adenauer-Zeit sehr breit gefächert vor Augen führen kann. Und zudem ist „Bühlerhöhe“ ein quasi-historischer Roman, denn vieles an dem Geschehen ist echt: Das tatsächlich existierende Hotel, in dem Adenauer tatsächlich seine Ferien verbracht hat (wenn auch nicht in diesem Jahr), der Streit um das Wiedergutmachungsgesetz, ein Attentat auf Adenauer (nicht dann und nicht dort, aber geschehen) das die Schwierigkeiten der Aufarbeitung der Nazizeit in Deutschland auf den Punkt bringt.
Brigitte Glaser hat diese losen Enden der Historie sehr kunstvoll und gekonnt miteinander verbunden, zugegebenermaßen sinngebend aber auch etwas verfälscht. Heraus gekommen ist so ein Gesellschaftsbild, der einem die Zerrissenheit der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft sehr eindringlich vor das lesende Auge führt. Ich konnte in diese Gesellschaft, die wir mühevoll einigermaßen überwinden konnten, lesend sehr gut eintauchen und vergebe gerne
5 Sterne.



 

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