Rezension (5/5*) zu Beifang: Roman von Martin Simons

Renie

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Warum denkt man so wenig an das Gute?

Martin Simons erzählt in seinem Roman „Beifang“ die Geschichte der Familie Zimmermann. Im Vordergrund stehen dabei die Väter und Söhne dieser Familie über vier Generationen.
Den Anfang in der Generationenfolge macht Winfried Zimmermann, scheinbar ein Säufer, der seine Kinder schlägt, wovon er reichlich hat. Denn Winfried Zimmermann ist 12-facher Familienvater. Die Familie lebt während der Nachkriegsjahre in einer Zechensiedlung am Rande des Ruhrgebietes. Die Jahre des Wirtschaftswunders ziehen unbemerkt an der Familie vorbei, denn inmitten der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs Deutschlands kommt die Familie mehr schlecht als recht über die Runden. Armut und Gewalt prägen das Familienleben der Zimmermanns. Man macht nicht viele Worte in dieser Familie. Und diese Sprachlosigkeit wird an die kommenden Generationen weitergegeben.
Winfrieds Enkel Frank wird erst Jahrzehnte später, Fragen nach der Geschichte seiner Familie und der seines Großvaters stellen.
Auf den ersten Blick scheint „Beifang" ein Familienroman wie einer von vielen zu sein, in dessen Mittelpunkt eine Familie mit einem vom Krieg traumatisierten Vater steht, der seine Kinder mit „strenger Hand" erzieht. Es ist daher ein leichtes, den Kindern eine, schwierige Kindheit zu bescheinigen. Und aus schwierigen Kindheiten entstehen Erwachsenenleben, die von mehr oder weniger seelischen Problemen geprägt sind. Das weiß doch jeder, dafür muss man kein Psychologe sein.
Da derartige Familiengeschicke nichts Besonderes für die damalige Zeit waren und vielleicht sogar zu einem Klischee geworden sind, liegt es daher nahe, Franks strengen Großvater Winfried zu verurteilen.
Anfangs trägt in diesem Roman auch nur wenig dazu bei, Winfried Zimmermann in einem anderen Licht zu betrachten, zumal die Onkel und Tanten, die Frank befragt, nur wenig Positives über ihren Vater zu berichten haben. Doch das wenige Positive reicht aus, um Frank und den Leser aufhorchen zu lassen. Aus dem Unmenschen Winfried wird eine
Person mit unterschiedlichen Facetten, die viele Handlungen dieses Familienvaters vielleicht nicht verständlich, aber zumindest ansatzweise nachvollziehbar machen.
„Warum dachte ich so wenig an das Gute und ließ es zu, dass sich immer nur das Andere in den Vordergrund drängte?"
Werden schwierige Vater-Sohn-Beziehungen von Generation zu Generation durchgereicht? Zumindest bei der Familie Zimmermann ist dies der Fall. Denn auch Frank und sein Vater - Winfrieds Sohn - kommen nur dann am besten miteinander zurecht, wenn sich ihre Gespräche um Oberflächlichkeiten und Routinen drehen. Darüber hinaus schweigt sich Franks Vater Otto aus. Es gibt Dinge, über die spricht er einfach nicht.
Diese Sprachlosigkeit findet sich auch zwischen Frank und seinem Sohn, der nach der Scheidung von Frank und seiner Frau bei der Mutter in München lebt. Durch die räumliche Entfernung flaut das Vater-Sohn-Verhältnis immer weiter ab. Indem sich Frank auf die Suche nach der Vergangenheit begibt, zeichnen sich leichte Ansätze ab, den Vater- Sohn-Beziehungen in diesem Roman eine neue Richtung zu geben.
„Beifang" entwickelt sich im Verlauf seiner Handlung zu einem sehr vielschichtigen Familienroman, der sich von seiner anfänglichen Klischeebehaftung löst und einfaches Schwarz-Weiß- Denken über einen Menschen in ein buntes Persönlichkeitsbild verwandelt.
Tatsächlich kommt auch die Spannung in „Beifang“ nicht zu kurz, da der Autor ein Spannungselement eingebaut hat, das die Handlung vorantreibt: die Frage nach den Todesumständen von Großvater Winfried.
Ich betrachte dieses Spannungselement als Sahnehäubchen auf diesem literarischen
Kuchenstück, wobei mir dieser Kuchen auch ohne Sahne geschmeckt hätte, zu sehr hat mich die Entwicklung der Protagonisten und deren Zusammenspiel in diesem Roman fasziniert.
Mein Fazit:
Ein außergewöhnlicher Familienroman, der Tiefen erreicht, mit denen man anfangs nicht rechnet. Leseempfehlung!

© Renie

von: Milena Michiko Flašar
von: Michael Köhlmeier
von: Mary Ann Fox
 

Wandablue

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Auf so ein Familientrauma kann man sich aber auch sehr gemütlich betten und es als Ausrede vor Eigenverantwortlichkeit benutzen. Ich meine das sehr allgemein.
Ich hatte irgendwie keine Lust auf diesen Roman, aber, was du schreibst, macht ihn schon wieder recht schmackhaft ;-).
 
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Auf so ein Familientrauma kann man sich aber auch sehr gemütlich betten und es als Ausrede vor Eigenverantwortlichkeit benutzen. Ich meine das sehr allgemein.
Ich hatte irgendwie keine Lust auf diesen Roman, aber, was du schreibst, macht ihn schon wieder recht schmackhaft ;-).
Tatsächlich interessierte mich dieser Roman nur wegen des Schauplatzes Ruhrgebiet (meine Heimat :)). Ich hatte keine großen Erwartungen, hätte ihn sicherlich auch allein aufgrund der Familienthematik nicht gelesen. Daher war ich doch sehr überrascht über die Qualität.