Rezension Rezension (5/5*) zu Beale Street Blues von James Baldwin.

MRO1975

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11. August 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Beale Street Blues von James Baldwin
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Eine Geschichte wie ein traurig-süßer Song

Es ist die Geschichte von Tish (19) und Fonny (22) im New York der 70er Jahre. Beide sind schwarz und in Harlem aufgewachsen. Sie kennen sich seit sie Kinder waren, sind erst Freunde und später Liebende geworden.

Fonny sitzt im Gefängnis — wegen eines Verbrechens, das er nicht begangen hat. Ihm wird vorgeworfen, eine Puerto Ricanerin vergewaltigt zu haben. Doch der Vorwurf basiert auf einer falschen Aussage des Opfers, für deren Manipulation der weiße Polizist Bell verantwortlich ist.

Tish ist schwanger. Sie erzählt erst Fonny, dann ihrer und schließlich seiner Familie davon. Die Reaktionen könnten kaum unterschiedlicher sein. Für Fonny ist das Baby ein Lichtstrahl, der ihm in der dunklen Zeit im Gefängnis hilft, den Verstand nicht zu verlieren. Tishs Familie reagiert liebevoll und leistet große Unterstützung. Von Fonnys Familie freut sich nur sein Vater. Fonnys Mutter und seine Schwestern, Betschwestern wie sie im Buche stehen, zeigen keinerlei christliche Nächstenliebe oder Hilfe. Im Gegenteil: Fonnys Mutter verflucht Tish und das Baby. Damit sind Tish und ihre Familie auf sich allein gestellt und die Einzigen, die sich um die Freilassung von Fonny bemühen.

Tish und ihre Familie arbeiten hart, um den weißen Anwalt bezahlen zu können, der Fonny aus dem Gefängnis holen soll. Der Anwalt recherchiert, macht das Opfer der Vergewaltigung ausfindig und ersinnt einen Plan. Tishs Mutter soll mit der Frau sprechen und sie überzeugen, ihre Aussage zu korrigieren. Währendessen wird die Anklage gegen Fonny immer wieder verschoben.

Das Geschehen wird aus der Perspektive von Tish als Ich-Erzählerin erzählt. Sie spricht bzw. schreibt Slang, was sie sehr glaubwürdig macht. Während Tish von dem aktuellen Geschehen im Gefängnis und von ihrer Schwangerschaft erzählt, flicht sie Rückblicke ein und erzählt, wie Fonny und sie sich als Kinder angefreundet und später verliebt haben. Sie erzählt von ihren Familien und von ihrem Leben in Harlem. Dabei offenbart Tish ganz beiläufig bittere Wahrheiten über die Diskrimierung der Schwarzen durch die Weißen, aber auch über die Diskrimierung der Schwarzen und anderer Ethnien untereinander. Wenn Tish anderen Personen beschreibt, gehört hierzu immer der Farbton ihrer Haut. Ein hellerer Hautton und glattes Haar gelten selbst unter Schwarzen als Schönheitsmerkmale. Der Rassissmus hat offenbar so tiefe Wurzeln geschlagen, dass er von den Betroffen zum Teil adaptiert worden ist.

Es geht in dem Roman auch um Musik. Der Titel nimmt Bezug auf die Beale Street in Memphis, die als Heimat des Blues gilt. Es wird viel gesungen, vor allem in der Kirche. Songtitel werden erwähnt. Auch die Geschichte hat den Charakter eines Blues. Einerseits ist die Geschichte traurig und voller Gewalt, gleichzeitig ist sie voll Liebe und läßt Platz für Hoffnung.

Die dtv-Ausgabe enthält ein sehr lesenswertes Nachwort von Daniel Schreiber mit einer Vielzahl interessanter Hintergrundinformationen und klugen Gedanken. Seiner Einschätzung habe ich nichts mehr hinzuzufügen: „Jede rassistische Gesellschaft, scheint der Roman zu sagen, führt zu einer Spirale der Gewalt, an deren Ende die Frauen stehen.“

 

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