Rezension (5/5*) zu Barbara stirbt nicht: Roman von Alina Bronsky

Renie

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19. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Barbara stirbt nicht: Roman von Alina Bronsky
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Jetzt iss doch mal was!

Walter Schmidt ist ein schwieriger Mensch. Er ist ein Miesepeter, ein Mann voller Prinzipien, ein Mann, der immer Recht hat und ein Mann, der mit anderen Menschen möglichst wenig zu tun haben will. Der Alltag ist klar durchstrukturiert. Walters Welt dreht sich nur um ihn, und solange seine Ehefrau Barbara sich an Walters ureigenes Naturgesetz hält, ist alles in Ordnung – sowohl für ihn als auch für sie. Barbara hat über die langen Jahre, die die beiden miteinander verheiratet sind, gelernt, sich mit dieser Situation zu arrangieren. Sie macht es Walter nett, ein sauberes Zuhause, ein voller Kühlschrank, regelmäßige Mahlzeiten, die jeden Tag zu selben Uhrzeiten auf den Tisch kommen. Walters Alltag verläuft wie am Schnürchen. Doch eines Morgens wacht Walter auf und stellt fest, dass das Schnürchen einen Knoten hat. Denn Barbara ist krank, bleibt im Bett und Walter ist den Gefahren des Alltags hilflos ausgeliefert. Um zu überleben, muss er lernen Kaffee zu kochen, den Hund zu versorgen, die Einkäufe zu tätigen und all das zu machen, was Barbara über all die Jahre unternommen hat, damit es Walter gutgeht. Walter empfindet Barbaras Erkrankung zunächst als Angriff auf sein persönliches Wohlbefinden. Mit der Zeit muss er jedoch feststellen, dass Barbara ernsthaft krank ist und ihre Genesung nicht von einem Teller Eintopf, den Walter mittlerweile gelernt hat zu kochen abhängt. „Jetzt iss doch mal was“ – eine Aufforderung, die Walter häufiger an Barbara richten wird, denn solange Barbara isst, stirbt sie nicht und ist auf dem Weg der Besserung. Davon ist er fest überzeugt.

Während der Wochen und Monate von Barbaras Erkrankung erleben wir eine Entwicklung bei Walter, die man ihm nicht zugetraut hätte. Er lernt zu „überleben“. Vom anfänglichen unselbständigen Miesepeter wird er zu einem Miesepeter, der lernt, allein durchs Leben zu kommen, wobei er sich auch gern von anderen helfen lässt. Walter beginnt, sich auf andere Menschen einzulassen. Er, der immer seine Ruhe haben wollte und für den Freundschaften überflüssig waren, lässt andere Menschen ein kleines Stück weit in sein Leben. Mehr verkraftet er noch nicht. Denn ein Mensch wie Walter kann sich nicht von heute auf morgen ändern, das wäre unglaubwürdig.

„Barbara stirbt nicht“ ist ein besonderer Roman, der von der Entwicklung seines Protagonisten lebt. Walter ist anfangs ein Ekel, der für viele komische Momente gut ist. Seine ersten Kontakte mit der Hausarbeit und dem Kochen waren großes Kino, die mir sehr viel Spaß bereitet haben. Nichtsdestotrotz wird der Ernst der Lage um Barbaras Erkrankung nicht außer Acht gelassen. Walters Bemühungen um Barbaras Genesung haben etwas Tragisches, das sehr berührend ist, aber ohne rührselig zu sein. Parallel zu Barbaras wachsendem Verlust ihrer Lebensenergie, verliert Walter auch seine Ich-Bezogenheit - eine Entwicklung, die für mich sehr glaubhaft dargestellt ist und dem Ende trotz aller Traurigkeit über Barbaras Erkrankung eine positive Note gibt.

© Renie