Rezension (5/5*) zu Babettes Gastmahl von Tania Blixen

petraellen

Aktives Mitglied
11. Oktober 2020
424
1.232
44
Buchinformationen und Rezensionen zu Babettes Gastmahl von Tania Blixen
Kaufen >
Autorin

Autorin
Die Dänin Tania Blixen, 1885 in Rungstedlund bei Kopenhagen geboren, wanderte nach dem Studium der Malerei in Kopenhagen, Paris und Rom 1914 nach Kenia aus, wo sie den schwedischen Baron Blixen-Finecke heiratete und zu schreiben begann. Die gemeinsame Kaffeeplantage führte sie nach der Scheidung alleine weiter, bis sie wegen der Weltwirtschaftskrise und nach dem tödlichen Unfall ihres Geliebten Denys Finch Hatton 1931 gezwungen war, in ihre Heimat zurückzukehren. Für «ihre» Kikuyus hatte sie ein Bleiberecht auf der Farm erwirkt. Der Vorort von Nairobi, in dem die Hütten standen, trägt noch heute ihren Namen. 1962 starb sie in Rungstedlund. Mit ihrem autobiografischen Roman, der 1937 unter dem Titel "Den afrikanske Farm" auf Dänisch und "Out of Africa" auf Englisch erschienen ist, wurde Blixen weltberühmt. Sie zählt heute zu den populärsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.
Quelle: Penguin Verlag

Inhalt
Die Sterneköchin Babette flieht aus politischen Gründen aus Frankreich nach Norwegen. Sie wird in ihrer Heimat als „Petroleuse“, das heißt als Brandstifterin gesucht.
In dem kleinen, abgelegen norwegischen Dorf Berlevaag findet sie ein neues Zuhause. Sie lebt bei den pietistischen Schwestern Martínez und Philippa. Hier lernt Babette in ganz bescheidenen Verhältnissen zu leben, da „Wohlleben in ihren Augen eine Sünde sei“. Babette, die bisher üppig gekocht hat, stellt ihre Kochkunst auf einfache Nahrungszubereitung um. Sie bereitet Stockfisch und Brotsuppe als Haushaltshilfe der Tugendschwestern zu. Ein überraschender Lottogewinn ermöglicht ihr, ein Gastmahl zuzubereiten, das ihrer viel gerühmten Fähigkeiten entspricht.
Ihr größtes Glück wäre es, noch einmal ein Festmahl zuzubereiten, wie sie es in Paris gewohnt war. Wird ihr das gelingen und ob auch ihre Gäste dadurch Glück erleben?

Sprache und Stil
Die Geschichte vermittelt einfühlsam, genussvoll in erzählerischer Sprache alle die kleinen Begebenheiten aus dem Leben der Protagonisten.
Das Gastmahl steht im Zentrum der Erzählung und dient als Metapher für ein Kunstwerk. Das Mahl ruft Erinnerungen der beiden Schwestern hervor. Ihre kurzen Flirts mit Liebe, Ruhm und Kunst werden wachgerufen. Philippa blickt zurück und erinnert sich an ihre frühe Liebe zu einem französischen Sänger.
Martine denkt an ihre Liebe des adeligen schwedischen Generals Löwenhielm. General Löwenhielm nimmt an dem Gastmahl teil, und er ist derjenige, der Babettes wahre Identität als Kochkünstlerin an ihrer Kreation erkennt.

„Sie aßen mit heiteren, ruhigen Gesichtern ihre Blinis Demidoff, ohne ein Anzeichen von Überraschung oder sonderlichen Genuss, als hätten sie seit dreißig Jahren Tag um Tag nichts anderes gegessen.“ (S. 52)

Für die pietistische Gemeinde wird der Ort der Mahlzeit ein Ort der Versöhnung, ein Ort der fünf Sinne. Ihre Konflikte innerhalb ihrer Gemeinschaft, Konflikte zwischen Generationen lösen sich auf und für kurze Dauer findet eine Versöhnung statt. Sie fühlen, schmecken, riechen, sehen und hören wieder. Sie erkennen ihren Nachbarn und hören zu. Sie riechen und schmecken das Essen und sie hatten das Gefühl, „an Gewicht zu verlieren, es wurde ihnen, je mehr sie aßen und tranken, auch immer leichter ums Herz.“ (S. 53)

Die Gäste lachen, erzählen, sehen sich an, nehmen ihre Tischnachbarn wahr und genießen das Beisammensein. Groll und lang gehegte Feindschaft sind vorerst vergessen.

„Die Zeit selbst lief zusammen zu einer Ewigkeit. Bis weit über Mitternacht strahlten die Fenster des Hauses, und Gesang strömte hinaus in die Winternacht.“ (S. 58)

Das Gastmahl geht zu Ende. Sie verabschieden sich mit Umarmung. Die scheinbar paradiesische gewonnene Wiederannäherung der Gemeindemitglieder steht metaphorisch in Verbindung mit dem Tod. Die Verabschiedung erfolgt im tiefen Schnee, der alles bedeckt.

„Eine Stunde später begann es erneut zu schneien, und einen derart dichten Schneefall hatte bisher niemand in Berlevaag erlebt.“ (S. 60)

Tanja Blixen arbeitet brillant jede Figur heraus, insbesondere Babette, die stets für andere kocht, aber in der Küche bleibt und damit unsichtbar wird.

„Als Einzige hatte Babette keinen Anteil an der Glückseligkeit des Abends gehabt.“ (S. 61)
Babette hat ihr Bestes gegeben um Menschen, die zu ihr gehörten glücklich zu machen, das ist ihre Kunst.
Philippa umarmt Babette und fühlt ein Kunstwerk aus Marmor, sie spürt die Erlesenheit und Erhabenheit eines Monuments.

Wird Babette ihre Kunst auf Erden weiterführen können?

„Im Paradies wirst du die große Künstlerin sein, die du nach Gottes Willen sein solltest!“ (S. 67)

Die Erzählung liegt erstmalig in der vollständigen Fassung von 1958 vor.

Die Novelle wird ergänzt durch Anmerkungen, Der Schrei durch die Welt / Nachwort von Erik Fosens Hansen und eine Editorische Notiz.

Das Buch ist in Leinen gebunden. Das Cover zeigt einen Ausschnitt eines Gemäldes des norwegisch-dänischen Malers Peder Severin Kroyer.

Fazit
Tanja Blixen hat unterschiedliche Facetten brillant herausgearbeitet. Sie beschreibt kein einfaches „Gastmahl“ in mehreren Gängen, sondern setzt das Mahl als Metapher ein. Nicht die Mahlzeit ist das Zentrum, es werden nur wenige Details der eigentlichen Mahlzeit eingeblendet, sondern die Allegorie, die in der Geschichte steckt.

Die fünf Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen sind Leitmotive in dieser Erzählung.

Luxus steht im Gegensatz zu Askese. Politische Schrecken, Flucht und Exil bilden ein Thema, das bis heute nichts an Realität hat. Leben und Tod werden symbolisiert mit blühenden Obstbäumen und ewigen Schnee. Wie streng soll kirchlicher Glaube gelebt werden, ohne sich der Religion zu unterwerfen?

Das Kunstwerk selbst erlebt der Zuschauer durch seine Sinne und merkt eine Veränderung.

„Normalerweise sprach man in Berlevaag nicht sonderlich viel während der Mahlzeit. Doch auf seltsame Weise lösten sich die Zungen an diesem Abend rasch.“ (S. 51)









von: Sergej Lochthofen
von: Doris Lessing
von: Takis Würger