Rezension Rezension (5/5*) zu Baba Dunjas letzte Liebe: Roman von Alina Bronsky.

Xirxe

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19. Februar 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu Baba Dunjas letzte Liebe von Alina Bronsky
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Ein wunderbares Büchlein

Baba Dunja, die nun wirklich keine 82 Jahre mehr ist ;-) kehrt zurück in ihr Heimatdorf Tschernowo, das in der Todeszone von Tschernobyl liegt. Sie ist die Erste, die sich dort, in ihrem alten Haus, wieder niederlässt, doch nach und nach steigt die Zahl der BewohnerInnen. Es sind meist Alte, die Jüngsten um die 60 Jahre, zum Teil schwer krank, die nichts fürchten, auch nicht den Tod. Jede/r lebt dort sein Leben, eine wirkliche Gemeinschaft gibt es nicht. Gemüse und Obst werden im eigenen Garten angebaut, was man sonst so braucht und nicht selbst herstellen kann, wird von der kärglichen Rente im nächsten Städtchen Malyschi gekauft. Es könnte ein Idyll sein, doch Baba Dunja, die Ich-Erzählerin, ist sich der prekären Situation durchaus bewusst: Sie (wie auch der Rest in Tschernowo) strahlt mittlerweile selbst wie ein kleines Atomkraftwerk und ein Happy End ist bestimmt nicht zu erwarten. Wie sollte es in ihrem Alter auch aussehen? Denn eines ist gewiss: der Tod. Und diesem in Tschernowo zu begegnen, ist das Schlechteste nicht.
Baba Dunja erzählt nicht nur von ihrem Leben im Dorf, sie erinnert sich auch an ihr Leben davor, das voller Mühsal war und darin bestand, für andere da zu sein: ihre Kinder Irina und Alexej; ihren Mann Jegor; die Kranken, die sie als medizinische Hilfsschwester behandelt hat. Nun kann sie zum erstem Mal in ihrem Leben das tun, was sie will: leben und sterben in Tschernowo. Ihrer Tochter Irina, die als Chirurgin in Deutschland lebt, ein Kind hat und nicht verstehen kann, weshalb ihre Mutter dorthin zurückgekehrt ist, schreibt sie beruhigende Briefe.
Zitat: "Mädchen", sagte ich, "guck mich an. Siehst Du, wie alt ich bin? Und das alles ohne Vitamine und Operationen und Vorsorgeuntersuchungen. Wenn sich jetzt irgendetwas Schlechtes in mir einnistet, dann lasse ich es in Ruhe. Niemand soll mich mehr anfassen und mit Nadeln pieksen, wenigstens das habe ich mir verdient."
Alina Bronskys Schreibstil trifft den Tonfall dieser alten Baba Dunja wunderbar: gelassen, durch nichts zu erschüttern und immer noch voller Lebensfreude. Sie weiß um die guten und schlechten Seiten der Menschen, verurteilt niemanden und nimmt das Leben wie es kommt - doch ohne sich sagen zu lassen, was sie zu tun hat. Zufälligerweise habe ich gerade zuvor das Buch Eierlikörtage: Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 1/4 Jahre gelesen - das genaue Gegenteil eines Lebens im Alter. Dort wohl versorgt im Altenheim, alles läuft nach Plan: Essen, Trinken, Unterhaltungsprogramm, sofern es eines gibt. Ohne Eigeninitiative (die nicht unbedingt gerne gesehen wird) nichts als gepflegte Langeweile. Wie erfrischend hingegen das Leben in der Todeszone, ohne dass es verklärt wird. Wenn man mich fragen würde, wo ich lieber meine letzten Tage verbringen möchte, wäre die Antwort klar: Tschernowo ;-)

 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Liebe @Xirxe,
Deine Rezension ist wie immer sehr gut gelungen.
Allein Deine Begeisterung für dieses schmale Buch kann ich mal wieder nicht teilen:confused:
Da du mir heute morgen vorgeworfen hast, ich sei zu anspruchsvoll und da ich ein selbstkritischer Mensch bin, habe ich sogleich @Helmut Pöll s Link zur Leserunde angeklickt und die Meinung der anderen WRlerInnen ergründet....
Und? Was soll ich dir sagen? ICH befinde mich in wunderbarer Gesellschaft!
Schade für Baba Dunja. Sie ist eine nette Person, aber dem Büchlein fehlt die Tiefe. Spätestens nach dem Todesfall wurde mir sie Sache zu seltsam....o_O
Interessant, wie wir manchmal voll auf einer Länge sind und dann wieder gar nicht...
Trotzdem genieße ich Deine Rezensionen. Nur nicht nachlassen;)
 
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Xirxe

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19. Februar 2017
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Interessant, wie wir manchmal voll auf einer Länge sind und dann wieder gar nicht...
Du siehst, ich bin einfach ein schlichtes Gemüt ;) Ich genieße es einfach, mich 'in ein Buch fallen zu lassen', ohne groß darüber nachzudenken. Gute Unterhaltung mit der man sich wohlfühlt - einfach so, wie das Leben manchmal sein sollte und leider nicht immer ist (sonst wäre es ja ein Ponyhof ;)). Für mich müssen gute oder sehr gute Bücher nicht zwingend Literatur mit Anspruch sein, sondern für mich kommt es darauf an, was sie bezwecken. Ein Buch, das mich zum Nach-, Um- oder Mitdenken bringen möchte und dazu abgedroschene Phrasen oder extrem schlichte Weisheiten verkündet (da fallen mir immer die Hector-Geschichten ein ;)), finde ich einfach grottig. Aber Eines, das mich 'nur' unterhalten will und das mit einer guten Geschichte, liebenswerten Protagonisten und sogar noch einer schönen Sprache, hat seine fünf Punkte vollauf verdient.
Dein Anspruch (und auch der manch Anderer) ist hingegen, dass Du neben der Unterhaltung auch Deinen Geist angeregt haben möchtest. Und da liegen die Anforderungen an ein Buch natürlich deutlich höher - Baba Dunja kann nicht mithalten ;) Aber die Auswahl ist ja groß genug - für Alle von uns :)

PS: Aber ich werde bei meinen Rezensionen jetzt extra noch einen Vermerk anbringen: Literaturhexle geeignet bzw. nicht geeignet ;):D
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Du siehst, ich bin einfach ein schlichtes Gemüt
Nein. Den Eindruck habe ich überhaupt nicht ;)
d das mit einer guten Geschichte, liebenswerten Protagonisten und sogar noch einer schönen Sprache, hat seine fünf Punkte vollauf verdient.
Da gebe ich dir Recht! Das Dumme ist nur, dass man seinen Geschmack nicht ändern kann. Vielleicht bin ich irgendwann In den letzten Jahren "abgehoben...? Wenn man es negativ ausdrücken will. Im Wesentlichen kann ich mit diesem schrägen Humor in Büchern nix anfangen. Die Altersheim-story, die du angesprochen hast, war auch nicht meins.... Mariana Leky. Baba Dunja.
Literaturhexle geeignet bzw. nicht geeignet ;)
Das wäre ja mal ein Service:rolleyes:
Aber ich lese sowieso all deine Rezis und mache mir dann mein eigenes Bild ;)
 
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