Rezension (5/5*) zu Alphabet (Quartbuch) von Kathy Page

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.674
9.513
49
Mit Wörtern dem Leben beikommen,...

...das zumindest versucht unser Protagonist in diesem Buch.

Simon Austen sitzt eine lebenslange Haftstrafe im Gefängnis ab, weil er seine Freundin umgebracht hat. Dort erst lernt er Lesen und Schreiben, findet darin einen Ausgleich zum tristen Knastalltag und beginnt verbotenerweise Brieffreundschaften. Nicht nur dass Simon sich eine falsche Identität gibt, die Frauen sind auch nicht das, was sie vorgeben zu sein. Als der aufgebrachte Vater einer Minderjährigen sich an die Gefängnisleitung wendet, fliegt das ganze Arrangement auf.
Aber Simon bekommt die Chance bei einem Therapieprogramm mitzumachen, in dem er zum erstenmal auch ein positives Wort über sich hört und es sich sogleich zu all seinen anderen Wörtern, die er im Laufe der Zeit gesammelt hat, auf den Körper tätowieren lässt. Diese Zeit, in der Simon sich langsam mit seiner Tat auseinanderzusetzten beginnt, findet jedoch ein jähes Ende. In einer Nacht- und Nebelaktion wird er zurück ins Gefängnis verlegt, wo es zu einem gefährlichen Racheakt eines Mitgefangenen kommt. Simon kommt auf die Krankenstation und lernt dort Vic kennen, die sich gerade in Charlotte verwandelt. Eine ungewöhnlich Freundschaft entsteht.

Kathy Page hat selbst ein Jahr in einem britischen Männergefängnis gearbeitet und nimmt sich mit Simon einen manipulativen Charakter vor, der für seine Tat keine Sympathien verdient hat. Sie lässt ihn von ganz unten kommen und mit jedem Versuch, Einfluss auf sein Leben zu nehmen, versteht man Simon und seine Schwierigkeiten mit Frauen und mit seinem Leben. Alles was ihm widerfährt ist eine Anklage gegen die Justiz, zugleich aber auch ein Abwägen, wie weit Rehabilitation überhaupt möglich ist. Gerechtigkeit, Vergebung und Verständnis werden hier in die Waagschale geworfen. Das Gefängnis ist und bleibt ein Sammelort für Menschen, bei denen im Leben etwas schief gelaufen ist und man darf sich ruhig die Frage stellen, ob es möglich ist, in einer Schlammpfütze seine Wäsche zu waschen.

Kathy Page findet entlarvende Worte, schlägt sich auf beide Seiten und schafft mit Simon eine differenzierte Person, mit der man ruhigen Gewissens diese Welt betreten und betrachten kann. Ein Blick, der sich lohnt.


 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.381
21.182
49
Brandenburg
Ha, du hast Partei ergriffen. Ich bin natürlich auch der Meinung, dass Haftbedingungen menschlich sein müssen. Sonst aber bin ich mehr der Meinung, die Ulrike vertritt.